Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
hatte.
Paul Henderson, mittlerweile verschieden, hingerichtet mit einem einzigen Schuss in die Stirn, aber nicht, bevor man ihn gefoltert hatte. Er war nach Paris gereist und mit seiner Schwester von dort fortgegangen. Sie verschwanden beide und Paul tauchte in Griechenland wieder auf. Dort wurde er getötet. Judith erschien, nachdem Jean-Claude inhaftiert worden war, und brachte die Leiche ihres Bruders nach Hause, in die Staaten. Was hatte das zu bedeuten?
Hatte Jean-Claude Judith gesucht? Er überlegte hin und her. Es passte. Es war möglich, dass sie mit Hilfe ihres Bruders vor dem Mann fortgelaufen war. Sie war intelligent und Männer wie La Roux konnten sich keine intelligenten Frauen leisten. Sie kamen dahinter, was los war. Sowie sie erkannt hatte, dass La Roux schmutzige Geschäfte machte, war es Judith vielleicht nicht möglich gewesen, damit zu leben. Andererseits könnte sie ihm aber auch etwas Wertvolles abgenommen haben.
Dieser Gedanke gefiel Stefan gar nicht, aber beide Szenarien könnten sowohl den Tod ihres Bruders als auch Jean-Claudes andauerndes Interesse an ihr erklären. Ebenso den Umstand, dass sie untergetaucht war, bis Jean-Claude inhaftiert worden war. Judiths Wiederauftauchen wies darauf hin, dass sie wahrhaftig nicht wusste, wie gefährlich La Roux in Wirklichkeit war oder wie weit seine beträchtliche Macht sogar von seiner Gefängniszelle aus reichte und wie gekonnt er sie einsetzte.
Stefan ging das Dossier durch, das er als Download erhalten hatte. Das Dokument enthielt auch etliche Fotos von Judiths Gemälden, sowohl von denen, die sie gemalt hatte, ehe sie Paris verließ, als auch von denen, die sie hinterher gemalt hatte. Sowie sein Blick auf das erste Gemälde fiel, fühlte er einen heftigen Hieb in seine Magengrube. Ihre Dynamik und ihre Leidenschaft, die darin zum Ausdruck kamen, verschlugen ihm buchstäblich den Atem. Er konnte seinen Blick nicht von der Serie losreißen und betrachtete jedes Gemälde eingehend. Sie waren faszinierend und wunderschön, tief, dreidimensionale Farben, eine erstaunliche Linienführung, voller Leidenschaft und Glut. Voll von ihrer Dynamik und Leidenschaft.
»Da bist du«, flüsterte er. »Ich sehe dich.«
Sie hielt nichts zurück, und sie hauchte ihren Werken ein solches Leben ein, dass jedes Seestück, jeder Baum, jede Wolke und jeder Busch in Bewegung waren und sangen oder schluchzten. In ihrer Hand war Farbe ein Musikinstrument, das von einem Virtuosen gehandhabt wurde. Ihr Mut war einfach umwerfend. Sie verstand Farben und ihre Bedeutung. Sie zog ihre Pinselstriche wie Liebkosungen, kühn und schüchtern, sinnlich und unschuldig. Sie war eine Verführerin mit ihren Farben, ein Traum, der in Reichweite und doch unerreichbar war.
Stefan fuhr mit beiden Händen durch sein Haar. Alle Welt konnte sie sehen. In diesen Gemälden hatte sie ihre Seele entblößt. Sie war weiß Gott atemberaubend. Er fühlte, wie sich sein Körper regte, ein unvorstellbarer Schock für ihn. Er hatte sich immer unter Kontrolle, körperlich und seelisch. Er war von seiner Kindheit an ausgebildet worden. Sein Körper erwachte auf seinen Befehl hin zum Leben und war dann, wenn er es brauchte, einsatzbereit. Was zum Teufel richtete diese Frau mit ihren Gemälden und den Fotos, auf denen sie zu sehen war, bei ihm an?
In den Gemälden steckte mehr von der wirklichen Frau als in der geheimnisvollen Fotografie, die er dem Gangsterboss gestohlen hatte. Sie hatte sich in sich selbst zurückgezogen, hielt sich abseits von der Welt, distanziert und unnahbar, aber hier konnte er in jedem Pinselstrich ihr Feuer und ihre Leidenschaft sehen.
Stefan zwang sich weiterzulesen. Ihre Zeit mit Jean-Claude war gut dokumentiert. Die Gerüchte über La Roux waren allmählich aufgekommen und es gab ein paar Fotos von einer jüngeren Judith, die lächelnd zu Jean-Claude aufblickte und auf all den Überwachungsfotos ihr Glück wie eine zweite Haut trug. Seine Reaktion darauf, sie zusammen mit dem Gangsterboss zu sehen, war atavistisch, sogar animalisch, und kam tief aus seinem Inneren. Er wollte den Mann mit seinen bloßen Händen umbringen. Er öffnete und schloss seine Finger, verlangsamte bewusst seine Atmung und verschloss sich gegen jede Empfindung.
Stefan musterte Jean-Claudes Gesichtsausdruck. Der Arm um Judiths schmale Taille war besitzergreifend, ebenso sein Gesichtsausdruck, aber das war noch nicht alles. Falls ein Mann wie La Roux zu Liebe fähig war, dann war es das. Was auch
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