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Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)

Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)

Titel: Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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Zorn, der dort gefangen gehalten wurde, einen ganz eigenen Geruch. Mit der Kante ihres Pinsels zog sie rasant als eine Art Ausrufezeichen eine schmale Linie quer durch ihr Rachegelübde. Eine spitze Glasscherbe ritzte die Haut auf ihrem Handrücken der Länge nach auf, nicht zum ersten Mal, und ihr Blut tropfte in das Gemälde hinein. Ihr Schweiß und ihre Tränen endeten oft im Innern dieser Gemälde, vermischten sich damit und verbanden sich mit den Glasscherben; und wenn sie die Scherben übermalte, wurden Teile von ihr ebenso tief in die Gemälde eingebettet.
    Zum tausendsten Mal verfluchte Judith ihre »Gabe«. Sie konnte jedes Element an sich binden, sie hatte an Emotionen teil, und diese Emotionen konnte sie verstärken und für destruktive Zwecke nutzen. Hier in diesem Raum konnte sie sich gefahrlos den Luxus von Tränen, Wut und Hass erlauben, die sehr realen Rachegelüste, aber sie durfte es niemals riskieren, diese Dinge außerhalb dieser vier Wände aufkeimen zu lassen.
    Die Brise wehte jetzt beharrlich und trug einen melodischen Klang mit sich, sanft, aber unaufhörlich, einen Klang, der ihre Konzentration durchdrang.
    »Judith.«
    Ihr Name klang wie das Wispern des Windes. »Das Telefon läutet. Wo bist du? Zu Hause?«
    Judith blinzelte mehrfach und schaute auf die dicken, fetten Blutstropfen hinunter, die jetzt auf den Boden tropften. Sie brauchte einen Moment, um zu sich zu kommen und sich daran zu erinnern, wo sie war und was sie gerade tat. Diesmal war sie so sehr darin aufgegangen, ihren Hass und ihr Schuldbewusstsein auf die Leinwand zu ergießen, dass sie sich vollständig darin verloren hatte. Sie erkannte die Stimme von Airiana Rydell, einer ihrer geliebten Schwestern. Es fiel ihr nicht allzu schwer, sich vorzustellen, wie sie auf der Suche nach Judith barfuß durch das Haus tappte und ihre nackten Füße in dem dicken, weichen Teppich versanken, während ihr platinblondes Haar wippte.
    Ein Hauch von Dringlichkeit schlich sich in die melodische Stimme ein. »Judith? Ist alles in Ordnung mit dir? Antworte mir.«
    Judith begab sich zu den gläsernen Schiebetüren und holte tief Luft, weil sie versuchen wollte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie war ganz und gar im Malen aufgegangen und immer noch in einem dichten Nebel; jetzt rang sie darum herauszukommen und sich einen Reim darauf zu machen, wo sie war und was sie zu tun hatte. Es dauerte ein Weilchen, die schwarzen wogenden Wasser der Wut und des Kummers zurückzudrängen, die sie von innen heraus zu verschlingen drohten, und den Weg zu finden, der sie zu ihrer Zurechnungsfähigkeit zurückführen würde.
    »Ich komme gleich raus, Airiana.« Es kostete sie Mühe, mit ruhiger Stimme zu sprechen, während sie einen frischen Lappen um ihre Hand wickelte, damit er die Blutstropfen aufnahm. »Sei so gut und nimm eine Nachricht für mich entgegen, ja?«
    Sie reinigte ihre Pinsel mit großer Sorgfalt und ließ sich Zeit, denn sie wusste, dass Airiana am Telefon eine Ausrede für sie finden würde. Airiana würde wissen, dass sie auf dem mühsamen Rückweg war. Sie ging nur dann in diesen Raum, wenn die Dunkelheit sie vollständig zu umfassen drohte und sie eine Möglichkeit finden musste, einen Teil dieser Dunkelheit zu zerstreuen. Sie befürchtete, wenn sie es nicht täte, würden ihre Gefühle früher oder später ausbrechen und sie würde versehentlich jemandem etwas antun.
    »Atme ein. Atme aus. Finde Schönheit in der Welt um dich herum.« Sie ließ sich von dem vertrauten Mantra in die Welt zurückführen, in der sie lebte.
    Sie hatte Schwestern, fünf Schwestern. Jede von ihnen hatte eine gleichermaßen traumatische Erfahrung gemacht. Sie waren sich in Monterey, Kalifornien, begegnet, einer wunderschönen Stadt am Meer. Dort hatte eine ganz erstaunliche Frau eine Selbsthilfegruppe für Opfer von Gewalttaten gegründet. Sie hatte Frauen zusammengebracht, die einen geliebten Menschen durch einen Mord verloren hatten. Jede der Frauen fühlte sich dafür verantwortlich und jede von ihnen war absolut am Ende gewesen, weil sich ihre Fähigkeit, mit der Scham und dem Schuldbewusstsein fertigzuwerden, restlos erschöpft hatte. Bis Monterey. Bis sie einander begegnet waren und sich dauerhaft zusammengetan hatten.
    Sie vertrauten nur wenigen Menschen. Und die Zahl derer, an die sie glaubten, war noch geringer. Aber gemeinsam waren sie stark. Gemeinsam konnten sie in Frieden leben und neues Glück finden, vielleicht nicht so, wie andere es für

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