Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)

Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)

Titel: Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
Vom Netzwerk:
deren Schein die Gemälde beleuchtete. Die tanzenden Lichter brachen sich in scharfen Glasscherben, die in die finsteren, zornigen Gemälde eingebettet waren. Kühne rote japanische Schriftzeichen schluchzten einen einzigen Namen – Paul Henderson.
    Judith Henderson beugte sich auf dem hochlehnigen Stuhl vor und trug schwungvoll einen breiten, kühnen schwarzen Pinselstrich auf, um jedes Licht aufzusaugen und es zu verschlingen. Vergebung war ausgeschlossen. Dazu konnte es niemals kommen. Sie konnte die Folterung ihres Bruders nicht vergeben, seinen sinnlosen Tod. Tränen rannen über ihr Gesicht und sie wischte sie mit ihrem Unterarm fort und trug einen weiteren weinenden Pinselstrich auf, um ihn mit einem glühenden Racheversprechen zu kreuzen.
    »Eines Tages, mein Bruder.« Sie sprach es laut aus, um in dem brodelnden Raum ein Versprechen abzulegen. »Ich werde das richtige Instrument finden, um zurückzuschlagen, und ich werde nicht zögern – diesmal nicht. Ich werde es mit tödlicher Kraft handhaben und ich werde deine Folter und deine Ermordung rächen.« Ihre Seele war ohnehin schon schwarz von der Schuld, die sie auf sich geladen hatte. Was war schon eine weitere Todsünde unter so vielen?
    Nahezu ehrfürchtig berührte sie den Rand der Leinwand. Paul hatte diese Leinwand gespannt, wie für so viele ihrer frühesten Gemälde, und sie überarbeitete sie immer wieder mit Ölfarben, in einem verzweifelten Versuch, sich von der finsteren Wut zu befreien, die ihre Seele durchdrang. Manchmal konnte sie es dabei belassen, dass dieses Studio abgesperrt und dunkel war, und so sollte es auch sein – aus ihrer Welt ausgeschlossen –, doch es gab andere Zeiten, in denen sie, wie jetzt, den Drang verspürte herzukommen, weil sie von dem Verlangen besessen war, all das hinauszulassen – die finstere ekelhafte Wut, das Schuldbewusstsein und den ungeheuren Kummer –, Gefühle, die sich ihr bis in die Knochen eingebrannt hatten.
    In diesem Studio und den Kunstwerken, die darin verborgen waren, hielt sie all ihre düstereren Emotionen gefangen – Gefühle, denen sie nicht zu erlauben wagte, sich ungehindert draußen im Universum aufzuhalten. Wut. Rage. Auflehnung und Schuldbewusstsein. Das alles ließ sie in ihre Gemälde und in die individuellen Kammern für das Kaleidoskop strömen. Manchmal bebte sie beim Malen und ihre Pinselstriche, kühn und zornig, fegten über die Leinwand, wenn sie sich die Freiheit eines wahrhaftigen Ausdrucks gestattete. In diesem Raum benutzte sie nur große, breite Pinsel, kein Vergleich mit den feineren Pinseln, die sie beim Restaurieren und auch dann benutzte, wenn sie für die Öffentlichkeit malte.
    Jeder finstere Gedanke und jedes finstere Verlangen, stark genug, um sie mitten in der Nacht schweißgebadet zu wecken, wurden sorgsam in diesem Raum zurückgelassen. Darauf verwandte sie ebenso viel Sorgfalt und Bedacht wie auf die Pflege ihrer Farben und Pinsel. Dieser Raum war mit Depression und Wahnsinn angefüllt. Mit finsteren, hässlichen Dingen. Mit erdrückendem Kummer, Schuldbewusstsein, Scham und tiefster, grenzenloser Verzweiflung.
    Judith sandte einen weiteren kühnen Pinselstrich von einer Ecke zur anderen, wobei der Pinsel seitlich über die Leinwand fegte, denn sie brauchte diese grobe Strichführung, damit die Wut in ihrem Innern ihren Ausdruck fand. Diesen Gemälden schenkte sie ebenso große Aufmerksamkeit wie ihren anderen, wenn nicht sogar noch mehr. Dieses Studio war der einzige Ort, an dem sie es wagte, den düstereren Emotionen, die wie ein Vulkan tief in ihr brodelten, Leben einzuhauchen.
    Mitten im Raum stand ihr schlimmstes und bestes Meisterwerk, ein großes Kaleidoskop, das sie stets abdeckte, aber das tat sie auch mit den Gemälden. Sie wollte nicht, dass jemand versehentlich auf diesen Ort finsterer Kräfte stieß. Das Kaleidoskop war besonders gefährlich, denn in jeder Kammer ballte sich ein Jahr Mordlust, fünf von ihnen, eine für jedes Jahr, das seit der Ermordung ihres Bruders vergangen war. Sie hatte ein anderes Studio, das ausschließlich ihrer Arbeit an Kaleidoskopen vorbehalten war, doch das unterschied sich gewaltig von diesem hier. Sie sandte einen weiteren schreienden Pinselstrich quer über die Leinwand, diesmal in einem tiefen, fast mitternachtsschwarzen Purpur.
    Die Brise glitt erneut in den Raum und ließ die Flammen flackern, und der übermächtige Geruch von unverdünnten Ölfarben kroch bis in die Wände hinein und verlieh dem schwarzen

Weitere Kostenlose Bücher