Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
Selbstvertrauen, und daher mussten natürlich alle um sie herum dasselbe empfinden.
Resolut zog sie ihre Schultern zurück und ging wieder hinein, um sich die Bilder genauer anzusehen. Die meisten ihrer Gemälde waren Seestücke. Es war unmöglich, als Künstler in Sea Haven zu leben und nicht die Schönheit des Meeres in seinen stürmischsten Launen einfangen zu wollen. Es waren aber auch ein paar Bilder von alten Gebäuden darunter und eines von den Klippen mit einem langen, kaputten Zaun, der vom Alter und vom Wetter gegerbt war. Dieses Bild zählte zu ihren persönlichen Lieblingen.
Sie betrachtete die Gemälde mit einem voreingenommenen Blick. Das wilde Meer frustrierte sie immer ein bisschen, denn sie hatte nie das Gefühl, die Stimmung wirklich so eingefangen zu haben, wie sie es wollte. Grau- und Blautöne und wirbelndes Purpur vermittelten nie ganz die volle Wirkung einer zornigen See, launisch und reizbar. Auf einem Bild verschleierte der Dunst die Bäume so, dass der Wald wie eine große Armee wirkte, geheimnisumwittert in dem verschwommenen, schattigen Inneren verborgen.
Sie presste ihre Lippen fest aufeinander und zwang sich, die ersten Keilrahmenleisten herauszuziehen, um die Leinwand zu spannen. Sie konnte nur hoffen, dass die Farbe auf den beiden Acrylbildern nicht jetzt schon beschädigt war. Sie konzentrierte sich vollständig auf ihre Arbeit und achtete sorgsam darauf, dass alle vier Ecken perfekt waren, während sie die Leinwand um die Leiste wickelte. Es war wesentlich schwieriger, den Hefter mit den Edelstahlklammern zu benutzen, wenn die Leinwand bemalt war. Eines der beiden Acrylbilder war eindeutig beschädigt und sie würde den Schaden beheben müssen, wenn sie es retten wollte. Wäre es das Werk eines anderen Künstlers gewesen, dann hätte sie nicht gezögert, aber allein und ungestört in ihrem Studio konnte sie sich eingestehen, dass sie diese Gemälde immer mit Stefans Verrat in Verbindung bringen würde.
Er hatte ihr das Herz gebrochen, wie es kein anderer jemals tun könnte. Er hatte ihr immer wieder Halbwahrheiten aufgetischt, während sie ihre Seele vor ihm entblößt hatte. Dafür sollte ihn der Teufel holen. Und sie sollte er für ihre Dummheit holen, sich ihm in die Arme zu werfen, weil er sie mit Augen ansah, die ihr einen Blick in seine Seele ermöglichten. Sie warf die Leinwand auf den Tisch und stieß ihren Stuhl zurück, denn sie war zu aufgebracht und zu unruhig, um die bitteren, kummervollen Gefühle, die in ihr aufstiegen und wie in einem dunklen Whirlpool sprudelten, in sich zu verschließen.
Die kühle Nachtluft raunte ihr etwas zu und sie trat in den Garten hinter dem Haus hinaus, wo ihre Blumen und Sträucher sie mit ihren leuchtenden Farben und ihrer beschwichtigenden Schönheit umgeben konnten. Ihr Blick trübte sich, als Tränen in ihre Augen traten, überflossen und an ihren Wangen hinabrannen. Sie presste sich die Handballen auf die brennenden Augen.
Einen kurzen Moment später presste sich eine Hand fest auf ihren Mund und ein kräftiger Körper stieß sie gegen die Wand. Der Geruch eines teuren Rasierwassers hüllte sie ein und warf sie in eine andere Zeit zurück. Das Herz hämmerte in ihrer Brust und sie schmeckte Furcht.
Jean-Claude hielt sie mit einer Hand an die Wand gepresst und stieß einen Finger drohend vor ihre Nase. »Du hast mir das Herz rausgerissen«, klagte er sie mit einem leisen Zischen an, und seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. Beide Hände packten ihr T-Shirt und zogen sie an ihn. Dann stieß sein Mund brutal auf sie herab und zermalmte ihre Lippen, eine Demonstration seiner Eigentumsrechte. Seine Zunge drang gewaltsam in ihren Mund vor und missachtete ihren Widerstand.
Sie schmeckte Mord. Blut. Das Grauen ihres Bruders und ihren eigenen Hass. Galle stieg in ihr auf, und als er sich von ihr losriss, hustete sie und schluckte die Galle, rieb ihre brennenden Lippen mit ihrem Handrücken und ließ ihn dabei keinen Moment lang aus den Augen. Sie presste sich an die Wand ihres Hauses, als sie dem Mann gegenüberstand, der die Folter und Ermordung ihres Bruders angeordnet hatte.
»Dachtest du, ich könnte dich einfach vergessen, Judith?«, fragte Jean-Claude barsch. Er sah sich lange und bedächtig um. »Ich weiß, dass du mich nicht vergessen hast. Ich habe all diese Jahre gewartet und du bist nie gekommen. Du hast mir nie geschrieben. Warum, ma belle , hast du mich im Stich gelassen, als ich dich mehr denn je brauchte?«
»Wie
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