Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
Stefan Prakenskij, der jedes Sicherheitssystem umgehen konnte, würde bestimmt keine Probleme damit haben, durch eine abgeschlossene Tür zu kommen. Sie stand mitten im Raum und hätte am liebsten in einem kindischen Wutanfall die Leinwände durch das Studio geschleudert und ihren Kummer herausgeschrien.
Stattdessen blieb sie vollkommen beherrscht. Tränen strömten über ihr Gesicht, als sie jedes der Gemälde auf den Tisch legte. Sie atmete tief ein und aus und stieß den Schmerz von sich. Einen Moment lang schlug sie sich beide Hände vors Gesicht. Sie war restlos erschüttert, bis in ihre Grundfesten. Ihr hart errungenes Selbstvertrauen, das sie im Lauf der letzten fünf Jahre Stück für Stück aufgebaut hatte, war verschwunden – zerschmettert. Sie unterdrückte einen gequälten Aufschrei.
Sie würde nicht in die Dunkelheit zurückkehren. Stefan mochte zwar ein Betrüger gewesen sein, aber immerhin hatte er ihr den Weg aus dem Dunkel gezeigt. Sie würde es schaffen, ohne ihn weiterzuleben. Es gab Millionen von Frauen, die sich in den falschen Mann verliebten, und sie führten ein glückliches und produktives Leben. Sie musste nur den Entschluss fassen, dass sie eine von ihnen sein würde. Ihre Erfolgsbilanz würde vielleicht als eine der schlechtesten in die Geschichte eingehen, aber sie würde sich nicht von einem russischen Agenten zerstören lassen.
Die Versuchung, ihre Schwestern anzurufen und sich an ihren Schultern auszuweinen, war enorm, doch sie widerstand ihr. Sie wollte Rikki im Moment nicht sehen und Rikki würde verletzt sein, wenn sie nicht in den Kreis der Helfer einbezogen wurde. Aber verdammt noch mal, Levi hatte sie verraten. Er musste gewusst haben, was sein Bruder wirklich im Schilde führte. Die Brüder hatten sich auf ihr Mitgefühl verlassen, auf ihre Loyalität, die so tief in ihr verwurzelt war, dass sie niemals auf den Gedanken gekommen wäre, einen von ihnen an jemanden zu verraten. Sie hatten sie geschickt manipuliert – und hieß das, dass Levi Rikki manipulierte?
Sie strich mit einer Hand über ihr Gesicht. Sie konnte kaum atmen in ihrem geliebten Studio. Um sich etwas Ablenkung zu verschaffen, schaltete sie die Stereoanlage an, die die Stille mit sanfter Musik ausfüllte. Sie musste sich an die Arbeit machen und sie hatte eine Menge zu tun, genug, um sie die halbe Nacht wachzuhalten. Und wenn das nicht genügte, konnte sie jederzeit zusätzliche Arbeit erfinden – schließlich war sie ein Profi darin, Dinge zu finden, die sie mitten in der Nacht tun konnte.
Sie sah durch die gläsernen Schiebetüren in die Nacht hinaus. Heute waren keine Sterne zu sehen, nur dichter Nebel, der ihre Gärten in verschwommene, feuchte Schatten verwandelte. Sie schlenderte durch den Raum, von dem grauen Dunstschleier angelockt. Das zählte zu den Dingen, die sie an einem Leben am Meer liebte. Wenn sie sah, wie der Nebel über den Wald herankroch, erinnerte die Atmosphäre sie immer an einen Schauerroman.
»Mach dich an die Arbeit«, schalt sie sich laut aus und stellte die Alarmanlage ab, damit sie die Glastüren öffnen konnte.
Eigentlich brauchte sie keine frische Luft von draußen – sie malte ja nicht –, aber sie hatte ein beengtes Gefühl in der Herzgegend und ihre Kehle war immer noch wie zugeschnürt. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass sie am liebsten geschrien und mit Gegenständen um sich geworfen hätte. Dass sie weinen wollte, bis alle Tränen auf Erden aufgebraucht waren. Sie liebte ihn. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Wesens. Wie hatte sie sich derart täuschen lassen können?
Sie stand in der Tür und starrte in ihren Garten hinaus, und dabei fühlte sie den Dunst auf ihrem Gesicht und in ihren Augen und als silberne Tränen, die in ihr Herz tropften, bis ihr Kummer sie derart niederdrückte, dass sie sich wieder an die Arbeit machen oder vor der betäubenden Kälte kapitulieren musste – und dorthin würde sie nicht zurückgehen. Nie wieder. Nicht wegen eines Mannes.
Es war eine solche Dummheit gewesen, auf einen Mann wie Jean-Claude reinzufallen. Alle Anzeichen waren da gewesen und sie war nur zu naiv gewesen, um sie zu deuten. So viele Menschen fügten sich ihm, gingen ihm aus dem Weg oder erstarrten, wenn er einen Raum betrat. Sie hatte geglaubt, er flößte ihnen großen Respekt ein, und sie war gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, dass alle ihn fürchteten. Sie fand ihn attraktiv und faszinierend, wenn auch einschüchternd durch sein enormes
Weitere Kostenlose Bücher