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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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gemacht hast.«
    Da sprach wohl der neue Sven aus Kathi und lag damit ziemlich richtig. War wohl ein Philosoph, dieser Sven.
    »Und Sven hält nichts von Konventionen?«, fragte Irmi, vor allem, um von sich abzulenken.
    »Nein, weil Konvention Stillstand ist.«
    Irmi lächelte. Das war das Privileg der Jugend, solche glasklaren und kompromisslosen Sätze zu formulieren. Das Leben verlangte einem später ohnehin nur noch Kompromisse ab. Irmi gönnte diesem Sven seine studentische Boheme. Das Problem war nur, dass Kathi für ihren Geschmack etwas zu stark eintauchte in diese Welt der Nonkonformisten und auf der anderen Seite halt leider einen sehr konventionellen Job hatte.
    »Das ist wirklich so. Schau, Sven ist Veganer, damit ihn das Essen nicht ablenkt vom Wesentlichen. Und er ist viel kreativer, seit er vegan lebt!« Kathis Augen blitzten.
    Es war sonnenklar: Kathi war fasziniert von diesem Typen und ernsthaft verliebt, was nur selten vorkam.
    »Du isst aber schon noch eine Leberkassemmel mit mir?«
    »Ja, weil mir der Körnerkram nicht schmeckt, und weil das wegen Oma und dem Soferl nicht anders geht. Aber interessant ist das schon, wenn du denkst, wie eine Welt ohne fleischfressende Menschen wäre.«
    Gottlob war Kathi Pragmatikerin geblieben.
    »Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das Modell klappt«, meinte Irmi. »Was machte er denn Kreatives, dein Sven?«
    »Studiert Architektur, er wird mal ein neuer Foster oder Calatrava – nur besser.«
    Irmi kam sich vor wie die weise alte Kassandra, die ihre unbeliebten Rufe in die Welt hinausschickte. Kathi würde mit diesem Sven auf die Nase fallen. Sie war eine kleine Polizistin und er ein großer Visionär. Und bestimmt auch ein großer Egoist, der Sex natürlich als Erfahrung schätzte, sich aber nicht wirklich auf eine Frau einlassen würde. Doch das würde Kathi selbst herausfinden müssen. Leider musste man in Liebesdingen den Schmerz immer selber erfahren, dabei gäbe es Tausende, nein Millionen von Beispielen, die einen davor bewahren könnten.
    »Na, dann fahren wir jetzt mal ganz unkonventionell ins Kranzbach und fragen nach Herrn Zwetkow, oder?«, schlug Irmi vor.
    Andrea kam herein. »Das Handy ist ein Telefon mit Prepaidkarte, da kann ich leider niemanden zuordnen. Ich hab es andersrum probiert und die Handynummern von einigen, die mit dem Fall zu tun haben, gecheckt. Es ist schon mal nicht die Nummer vom Wirt, seiner Frau, dem Kompagnon, dessen Frau, Hans oder Brischitt Fischer.«
    »Cool!«, sagte Kathi. Das konnte man fast als Lob werten.
    »Andrea, vielen Dank, wirklich gut mitgedacht. Wir sind mal kurz weg. Geh was essen, du hast doch sicher den ganzen Tag noch keine Zeit gehabt.«
    »Macht nix. Ich hab Reserven.«
    Ja, Andrea, Sailer und sie waren in dieser Hinsicht Reservisten. Kathi hingegen würde vermutlich der nächste Luftzug wegwehen.

12
    Als sie im Auto saßen, sagte Irmi: »Ich bin ganz froh, dass du dich mit Andrea besser verstehst. Ich finde sie sehr engagiert, und wir haben in ihr eine, die uns sehr gut zuarbeitet.« Sie hatte das »wir« und »uns« besonders stark betont.
    »Es ist nutzlos, Aggressionen in sich aufzustauen, man richtet sie nur gegen sich selbst. Die wenigsten sind so viel Beachtung wert.«
    Oha, da sprach Sven aus ihr. Und Irmi bezweifelte stark, dass Kathi dieses Motto durchziehen konnte. Dazu war sie einfach zu impulsiv und unbedacht.
    Es war ein klarer Herbsttag, mit mildem Licht und unwirklichen, beinahe skandinavischen Farben. Ein Tag, der einen plötzlich wieder an einen Sinn im Leben hoffen ließ. Der einem Mut machte, weil die Sonne auch die Seele wärmte.
    Als Irmi an der Mautstraße bezahlte, meinte Kathi: »Da hättest du aber auch den Ausweis zeigen können.«
    »Das kann ich mir grad noch leisten. Außerdem muss ja niemand wissen, dass die Polizei durchs Karwendel fährt.«
    Die Straße stieg leicht, aber stetig an. Ab und zu las Irmi in irgendwelchen touristischen Werbepostillen das Wort »bezaubernd«. Diese Szenerie war tatsächlich bezaubernd und grandios und spektakulär und alles, was man sagen konnte, ohne den Kern zu treffen.
    Als sie zum Kranzbach abbog, das dalag wie eine Ritterburg – ein graues Haus vor anthrazitfarbenen Bergen –, entfuhr Kathi ein »wow«.
    Kein schöner Land in dieser Zeit, da der Herbst in seinen Farbkasten griff. So viel Opulenz so kurz vor dem Zerfall. So viel jubelnde Natur so kurz vor der Starre. Bald würden die Blätter am Boden liegen, die Skelette der Bäume im

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