Huff, Tanya
gebracht hatte, schlug sein Herz so heftig, daß er kaum zu
atmen vermochte.
„Stell' den Motor ab."
Der Junge wimmerte, als er den Zündschlüssel umdrehte. Er
verstand selbst nicht, warum er dieses Wimmern einfach nicht unterdrücken
konnte. Als kalte Finger nach seinem Kinn griffen und seinen Kopf mit Gewalt
zur Seite drehten, wimmerte er lauter.
„Wo ist der Mann, der dieses Fahrzeug gefahren hat?"
Im Dämmerlicht schimmerten ihre Augen unwirklich silbern.
Der junge Mann hätte nicht sagen können, wie der Rest der Frau aussah, denn er
sah nur diese Augen. „Der ist in Rubys Steak House. Vielleicht acht Kilometer
hinter uns."
„Ist er verletzt?"
Der junge Mann galt gewöhnlich nicht als phantasiebegabt
und hatte doch plötzlich eine deutliche Ahnung davon, was mit ihm geschehen
würde, sollte er die Frage mit Ja beantworten. Sein Magen zog sich zusammen,
und er mußte heftig schlucken.
„Wenn du kotzt", teilte die Frau ihm mit, „kannst
du's aufessen. Beantworte meine Frage."
„Ihm ging es gut. Wirklich." Sie schien mehr hören zu
wollen, und so fügte er hinzu: „Ich hahab' in den Außenspiegel geschaut und da
hahat er gelacht."
„Gelacht?"
„Ja."
Vicki runzelte die Stirn und gab das Kinn des jungen
Mannes frei. Warum hatte Mike gelacht? Seit wann fand er Autodiebstahl witzig?
Gut, er hat gehalten, um zu Abend zu essen, und jemand hat den Bus geklaut.
Warum findet er das lustig? Dann sah sie die goldenen und rosafarbenen Streifen
am Horizont und verstand den Witz.
Wenn Rubys Steak House wirklich nur acht Kilometer
entfernt war, dann war dieser arme Wurm hier mit einer schlafenden Vampirin im
Wagen losgefahren, und das nur wenige Minuten vor Sonnenuntergang.
Als sie sah, daß der junge Mann am Griff der Fahrertür
herumfummelte, schnappte sie sich seinen Arm. „Nicht so rasch", murmelte
sie - eine gedämpfte Drohung, aber deutlich genug. „Wie heißt du?"
„KKkyle."
Der Junge wirkte eigentlich recht attraktiv, auf eine
unrasierte, leicht anrüchige Art und Weise. Schlank, aber mit schönen Muskeln.
Hübsche blaue Augen. Ihr Blick blieb am Puls an seinem Hals hängen. „Wie alt
bist du, Kyle?"
„Zweiundzwanzig."
Alt genug. Vicki ließ den Hunger hochkommen. Kyle sah, wie
sich das Lächeln der Frau veränderte. Verstand fast, was dieses Lächeln hieß.
Ihr Gesicht war sehr blaß. Die Zähne sehr weiß.
„Ich glaube, der Junge hat beschlossen, keine Autos mehr
zu klauen."
„Ach ja?" Mike grinste Vickis Profil an, das im
grünen Schimmer der Lichter am Armaturenbrett kaum zu erkennen war. „Wie kommst
du denn darauf?"
„Ich glaube, er traf die Entscheidung, nachdem ich ihm
erklärt habe, was für ein großes Glück er doch gehabt hat."
„Glück?"
„Aber ja doch. Als er das Auto klaute, saß immerhin nur
ich drin." Vicki wandte sich zu ihrem Gefährten und ließ den Bus einen
Moment lang ohne Führung den Highway entlangrasen. Ihre Augen leuchteten, und
ihre Stimme versprach für später vieles. „Ich habe ihm nur klargemacht, daß
beim nächsten Mal vielleicht etwas wirklich Gefährliches drinsitzt."
Am folgenden Morgen ging die Sonne um 4:56 Uhr Pacific
Time auf. Um 4:30 Uhr bog Vicki auf einen Parkplatz ein, den man eingerichtet
hatte, damit Reisende die wunderbare Aussicht genießen konnten und auf dem ihr
Bus das einzige Fahrzeug war. Die Fahrt westwärts durch die Rockies hatte ihre
Nacht um eine Stunde verlängert. Sie hatten drei zusätzliche Stunden gewonnen,
seit sie Toronto verlassen hatten, aber die der vergangenen Nacht würde die
letzte sein, denn nun hatten sie die Grenze zum Bundesstaat British Columbia
überschritten und würden noch vor Einbruch der Dunkelheit Vancouver erreichen.
Ab jetzt fanden Sonnenauf- und -Untergang wieder in ein und derselben Zeitzone
statt.
Vicki drehte sich auf dem Fahrersitz um und starrte in die
Dunkelheit ihres Unterschlupfes. Celluci hatte sich standhaft geweigert, bei
geschlossener Trennwand zu schlafen, und sie konnte ihm das kaum verdenken,
auch wenn der Gesang seines Blutes hinter ihrem Rücken sie eigentlich
ständig ein wenig ablenkte. Die nächtliche Fahrt hatte große
Anforderungen an Vicki gestellt: Sie hatte zwei Nationalparks durchquert und
den größten Teil eines riesigen Gebirges hinter sich gelassen. Da war es nur
gut, daß sie sich an dem jungen Kyle ausgiebig genährt hatte; so war es ihr
gelungen, ihre Aufmerksamkeit größtenteils dem Fahren zu widmen.
Der Schlaf glättete die Ecken und Kanten, die
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