Huff, Tanya
umgaben. Die Tankstelle selbst war
geschlossen, und außer den Sternen gab es hier nur noch das Licht von Cellucis
Taschenlampe. Das alles machte den Eindruck, als seien sie beide die letzten
lebenden Menschen auf der ganzen Welt. Vicki mochte dieses Gefühl nicht, das
sie auf ihrer raschen Fahrt vom Lake Superior Richtung Kenora und auf die
Grenze zwischen Ontario und Manitoba zu durch die Nacht begleitet hatte. Selbst
in Winnipeg waren bis auf einen verschlafenen Tankwart an der rund um die Uhr
geöffneten Tankstelle mit Kaffeeausschank, an der sie den Wagen aufgetankt
hatte, und zwei Obdachlose, die sie im Vorbeifahren im Schutz einer Brücke
hatte schlafen sehen, kaum Menschen auf der Straße gewesen. Sie hatte den Weg
durch die Innenstadt Portage la Prairies genommen, statt auf der Umgehungsstraße
des Trans Canada Highway zu fahren, aber es war wohl noch zu früh gewesen;
alles schien zu schlafen.
Für gewöhnlich lebte und jagte Vicki in einer Stadt mit
drei Millionen Einwohnern, von denen zumindest eine Million nie zu schlafen
schien. In der Einsamkeit der Prärie fühlte sie sich verletzlich und wie auf
dem Präsentierteller.
„Gib her." Sie streckte die Hand aus und riß Celluci
die halb zusammengefaltete Landkarte aus den Händen. „Leg sie doch einfach an
den Falzen wieder zusammen, so, wie sie vorher war. Was kann daran so schwer
sein?"
Verletzlich, wie auf dem Präsentierteller und schrecklich
schlecht gelaunt. Sie erwiderte Mikes erstaunten, verärgerten Blick, indem sie
leicht mit der Karte wedelte, was fast schon als Entschuldigung gelten konnte.
„Diese Landschaft hier geht mir so langsam auf den Geist."
Der Bundesstaat Saskatchewan zollte der Tatsache Rechnung,
daß niemand auf einer schnurgeraden, völlig ebenen Straße wirklich nur 100
Stundenkilometer fahren würde und erlaubte 110. Was bedeutete, daß fast alle
Verkehrsteilnehmer 120 fuhren. Eingedenk der Fracht, die er mit sich führte,
schloß Celluci einen Kompromiß mit sich und fuhr 115 Stundenkilometer.
Nachdem er mehr Weizenfelder passiert hatte, als er in
seinem ganzen bisherigen Leben zu Gesicht bekommen hatte, bog Celluci um 19:17
Uhr Ortszeit auf einen Lastwagenrastplatz am Rande von Bassano im Bundesstaat
Alberta ein, parkte, stellte den Motor ab und fragte sich, ob gerade ein
Sonny&Cher-Revival stattfand, von dem er erst jetzt etwas mitbekam. Sollte
er sich noch ein einziges Mal gezwungen sehen „I Got You Babe" anzuhören,
würde er jemanden verprügeln müssen. Er parkte den Bus so, daß Vicki aussteigen
konnte, ohne dabei gesehen zu werden und begab sich mit steifen Knien hinüber
zum Restaurant. Die Sonne würde um 20:30 Uhr untergehen; so blieb ihm eine
Stunde für das Abendessen.
Die Tagessuppe war Rinderbrühe. Mike starrte in seinen
Suppenteller und dachte an all die Mahlzeiten, die er mit Vicki zusammen
verzehrt hatte, an die Tankladungen Kaffee, die halbvertrockneten Butterbrote,
die sie sich irgendwo im Vorüberhasten zu besorgen pflegten. Plötzlich
deprimierte ihn der Gedanke unendlich, daß sie nie mehr losziehen würden, um
sich Dim Sun zu besorgen oder Paprikahuhn, daß sie noch nicht einmal mehr den
Pizzaservice rufen würden, um sich dann gemütlich die Hockeynacht im Fernsehen
reinzuziehen.
„Ist etwas mit der Suppe?" Eine ältere Frau stand, in
eine blütenweiße Schürze gehüllt, hinter dem Tresen und blickte Celluci besorgt
an.
„Nein, danke, die Suppe ist prima."
„Freut mich zu hören. Die kommt nicht aus der Dose, die
koche ich selbst." Als Mike nicht gleich eine Antwort parat hatte,
schüttelte die Frau den Kopf und seufzte. „Kopf hoch, Junge. Sie sehen aus, als
hätten Sie gerade Ihren besten Freund verloren."
Mike runzelte die Stirn. Nicht wirklich verloren: Vicki
war ihm weiterhin alles, was sie immer gewesen war, nur eben keine Gefährtin,
mit der er sein Essen teilen konnte, und das konnte gemessen an allem anderen
doch unmöglich wirklich so schlimm sein. Aber in diesem Moment schien es ihm
schrecklich. Ich habe gedacht, ich könnte damit umgehen ...
Als die Kellnerin die Suppenschale entfernte und durch
einen Teller mit Steak und Bratkartoffeln ersetzte, bekam er das kaum mit.
Vampirin, Nachtwandlerin, Nosferatu - Vicki war kein
Mensch mehr. Zugegeben: Sie hatte sich in einer Art auf die Beziehung zu ihm
eingelassen, wie es ihr vor der Wandlung nicht möglich gewesen wäre; aber was
waren denn schon die paar Jahre, die sein Leben noch dauern würde, gemessen an
der
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