Huff, Tanya
Börsenmakler,
Computerfachleute, Sicherheitsanalysten und Gangsterbosse Kinder und Hypotheken
angeschafft hatte, um seßhaft zu werden. Aber Kitsilano galt trotzdem immer
noch als nettes und respektables Viertel, und es erstaunte Henry, daß er hier
jagen gehen sollte.
Gabriel und Lori Constantine veranstalteten einen
Grillabend. Reglos stand Henry in den Schatten und hielt die Nase in den Wind.
In der Luft lag ein starker Geruch nach verkohltem Tintenfisch, und Henry hatte
mit einem heftigen Niesreiz zu kämpfen. Sechs Lebewesen hielten sich in der
Nähe des Wohnhauses auf, und da Gabriel Constantine der Gastgeber war, konnte
man davon ausgehen, daß er einer davon war.
Vor dem Haus standen zwei Wagen geparkt, in denen jeweils
zwei bewaffnete Männer saßen, und zwei weitere Männer, die eindeutig kein Liebespaar
waren, schlenderten den Strand entlang. Henry beschied, eine verdeckte
Vorgehensweise sei sinnvoll. Wenig später kletterte er auf den Schnellkomposter
im Nachbargarten, von dort aus über den Zaun und trat, die Lippen angesichts
des Gestanks der toten Blüten verzogen, in den tiefen Schatten unter einem
Fliederstrauch.
Der Garten der Constantines unterschied sich in nichts von
den anderen, die Henry auf seinem Weg hierher durchquert hatte. Ohnehin waren
die Unterschiede zwischen diesem Haus und den anderen in der Straße rein
oberflächlich, und der Grillabend hätte auch auf jedem anderen Grundstück der
Gegend stattfinden können.
Abgesehen von den Gästen.
Henry ging davon aus, daß die Constantines nur selten ihre
unmittelbaren Nachbarn zum Grillen baten. Es gibt in der Regel für Raubtiere
nur einen einzigen Grund, sich mit ihrer Beute abzugeben.
Der Garten selbst wurde von vier Männern gesichert, die
über ihren Polohemden Jacketts trugen. Henry wartete, bis einer von ihnen an
den Rand des Schattens trat, in dem er sich verborgen hielt, und trat dann so
weit vor, daß er den pausenlos umherstreifenden Blick des Bewaffneten einfangen
konnte. Ehe dem Mann klar war, was vor sich ging, hatte Henry auch schon in
das einfache Muster seiner Gedanken eingegriffen und eine Neuordnung
vorgenommen. „Sag Constantine, er soll kommen und sich drüben am Zaun etwas
ansehen - nichts Gefährliches, nur etwas, was er deiner Meinung nach wirklich
selbst sehen sollte."
Die meisten Menschen, die in eine Jagd geraten, verhalten
sich wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht eines Autos: Jeder bewußte Gedanke
verliert sich in dem Wissen um den drohenden, unvermeidbaren Tod. Selten nur
verfügte jemand über eine stärkere Selbstbeherrschung. Der Gangster, zu nichts
anderem abgerichtet als dazu, Befehle zu befolgen, nickte, wandte sich um und
ging auf den Pool zu. Lange würde das von Henry arrangierte Muster in seinem
Kopf nicht halten. Das war aber auch nicht nötig.
Henry konnte den Herzschlag des Kindes hören, das in einem
der Schlafzimmer im ersten Stock schlummerte und hatte von daher auch keine
Probleme damit, der Konversation am anderen Ende des Grundstücks zu folgen. Da
ging es um Privatschulen, Musikstunden und darum, wie schwierig es doch war,
eine verläßliche Haushälterin zu finden. Es ging um importierte Autos und wie
sie im Vergleich zu den einheimischen Fahrzeugen abschnitten und um Leute, die
einfach nicht begreifen wollten, daß alles immer teurer wird. Die Gespräche
waren ineinander verwoben wie verhedderte Wollknäuel. Alles klang so
unschuldig; ein harmloser Lauscher hätte nie erraten, was für Geschäfte in
diesem Haushalt dafür sorgten, daß die Rechnungen bezahlt werden konnten. Dann
hörte Henry den Teil der Unterhaltung, der sich auf sein Zusammentreffen mit
Constantine bezog.
Der Mafiaboß runzelte die Stirn, fegte mit einer
Handbewegung die Nachfrage eines Gastes beiseite und forderte seinen Wachposten
auf, ihm den Weg zu weisen. Irgend etwas schien dahinten im Garten zu sein, etwas
Wichtiges, das konnte er der Miene seines Angestellten entnehmen. Constantine
setzte vollstes Vertrauen in die Zuverlässigkeit seines Sicherheitsapparates
und die Normalität des Stadtteils, in dem er lebte.
Was könnte dir hier auch schon etwas anhaben?, fragte
Henry sich spöttisch, als Gangsterboß und Gangster auf ihn zukamen. Hier,
umgeben von Sattelitenschüsseln und Gasgrills und Rasenflächen, die alle von
der Gartenbaufirma ,Unkrautex' betreut werden7. Henry lächelte, als die beiden
Männer beim Flieder ankamen; er liebte rhetorische Fragen.
Constantine hatte nicht mitbekommen, daß der
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