Huff, Tanya
schließen.
Vicki wußte, daß sie Sebastien Carl noch nie zuvor in
ihrem Leben gesehen hatte, und trotzdem kam der Mann ihr irgendwie vertraut
vor. Sie hatte den Raum bereits durchquert und eine Hand um Carls Hals geschlungen,
als ihr endlich klar wurde, warum das so war: Der Gangster verfügte über ein Wissen
um die eigene Macht und Stärke, das fast schon vampirisch anmutete. Mir gehört
die Welt, schien dies Wissen zu sagen, und dich gibt es gar nicht, außer ich
beschließe, dich zu benutzen.
Vicki hatte den Mann fast erwürgt, ehe es ihr gelang, die
plötzliche Raserei wieder in den Griff zu bekommen. „Ich bin nicht wie
du!" knurrte sie und schenkte den Fingern, die sich in ihre Handgelenke
verkrallt hatten, keine Beachtung. „Ich will dir nur ein paar Fragen
stellen." Eine in Seide gehüllte Hacke traf sie unterhalb des Knies. „Laß
das sein!"
Carl war klüger als Haiden und gab den Widerstand auf. Er
starrte Vicki aus zusammengekniffenen Augen an, die Finger immer noch um die
Handgelenke der jungen Frau gekrallt. Sein Brustkorb hob und senkte sich mit
den kurzen, flachen Atemzügen, die seine lädierte Luftröhre ihm gestatteten.
Aber der Tod ist doch meine Waffe!, schien seine Miene empört zu rufen, nicht
deine!
Vicki ließ dem Hunger größeren Spielraum - es fehlte nicht
viel, dann hätte er sich vollends Bahn gebrochen. „Organdiebstahl. Tust du so
was?"
„Nein." Carls Antwort war mehr Hauch als gesprochenes
Wort. Er mochte leugnen, daß der Tod in den silbriggrauen Augen wohnte, von
denen er den Blick nicht wenden konnte, belügen konnte er diese Augen nicht.
„Weißt du, wer so was tut?"
„Nein."
Mit der freien Hand zog sie eine der Kopien, die Henry von
den Fotos im Autopsiebericht angefertigt hatte, aus ihrer hinteren Hosentasche,
glätte das zusammengefaltete Stück Papier, indem sie es heftig schüttelte und
hielt es dem Mafioso unter die Nase. „Hast du diesen Mann je gesehen?"
„Nein." Mach schon, forderte sein Blick sie heraus.
Tu dein Schlimmstes.
Frustriert warf sie ihn aufs Bett. Er federte hoch, rollte
sich über die rote Satinsteppdecke und kam hoch, in der Hand eine Pistole vom
Kaliber 22. Als er den Abzug zum zweiten Mal betätigt hatte, war er tot.
Jeanna Carl schaltete den Fön aus, strich sich eine
sonnengebleichte Haarsträhne aus dem Gesicht und runzelte die Stirn.
„Sebastien?" rief sie. Als keine Antwort kam, trat sie aus dem Bad. „Hast
du gerade ... Scheiße!"
Jeanna war nur zu gut bekannt, welchem Beruf ihr Mann
nachging; der Anblick einer Leiche auf dem Schlafzimmerfußboden überraschte sie
von daher nicht allzu sehr. Als sie dann feststellen mußte, daß es sich bei der
Leiche um die ihres Mannes handelte, war sie doch ein wenig erstaunt. Vollends
verwunderte sie die Tatsache, daß er nicht auf dem Rücken lag und sie ihm
trotzdem ins Gesicht sehen konnte: irgendwer ...
Oder irgendetwas, jammerte ein Stimmchen in Jeannas
Hinterkopf und sie musste einen Aufschrei unterdrücken.
... hatte Sebastien den Hals um 180 Grad verdreht.
Jeanna sprang über die Leiche, kletterte auf das Bett und
öffnete mit zitternden Fingern den Safe, der in die Polsterung des Kopfendes
eingebaut war. Alles da! Schwer atmend drückte die Frau ein Häufchen Geldbündel
an die Brust und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Noch bestand
durchaus die Möglichkeit, heil hier rauszukommen. Sie mußte lediglich
Sebastiens Körper an den Fuß der Treppe schaffen -Gottseidank hatte sie nicht
zugelassen, daß er einen Bungalow baute! -und die Sache als schrecklichen
Unfall darstellen. Sebastiens Anwälte
wußten sicher, was in einer solchen Situation zu tun war.
Eine rasche Beerdigung, dann würde sie das Geld nehmen und ...
„Nicht weit damit kommen!" Wenn es den Bullen nicht
gelang, sie zu Tode zu hetzen, würden das die Geschäftspartner ihres Mannes tun
und bei dieser Gelegenheit sein Reich in blutige Einzelteile zerlegen. „Die
können mich alle mal!"
Zwanzig Minuten später war der Safe leer, und Jeannas
Porsche röhrte aus der Garage, um dann den Marine Drive hinab zu verschwinden.
Die blicklosen Augen Haidens und Bynowskis starrten
weiterhin unverwandt auf die Monitore.
Der Stadtteil Vancouvers, der unter dem Namen Kitsilano
bekannt war, hatte sich offen zum Yuppietum bekannt, als sich die Nachhut der
Babyboomer - der geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit - auf dem
Höhepunkt ihrer finanziell äußerst erfolgreichen Karrieren als
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