Huff, Tanya
Der
Rest des Satzes blieb dem Mann im Halse stecken, denn hinter ihm stand der Tod
und sah ihm über die Schulter.
Henry lächelte und zeigte Zähne. „Harry Chen?"
Chen erstarrte; er wußte, daß das keine wirkliche Frage
gewesen war, daß der Mann mit dem hellen Haar genau darüber im Bilde war,
wessen Leben er da in Händen hielt. Die eigenen Hände hielt Harry weit von sich
gestreckt, und das Wasser troff von ihnen zu Boden, als er sich nun umwandte.
„Sollten Sie um Hilfe rufen, sind Sie tot, ehe das erste
Wort Ihre Kehle verlassen hat", teilte Henry höflich mit, als der Chinese
den Mund öffnete.
„Ich bin sowieso tot." Aber er war noch nicht ganz
tot, und so sprach Harry leise und versuchte auch gar nicht, das Zittern in
seiner Stimme zu verbergen, gegen das er ohnehin nichts tun konnte. In seiner
Brust lag verzweifelte Hoffnung im Widerstreit mit panischer Angst. „Wer
schickt Sie? Ngyn, dieser vietnamesische Schweinehund? Nein." Chen
beantwortete die Frage selbst. „Der würde keinen verdamm... " Chen mußte
plötzlich feststellen, daß bestimmte rassistische Beschimpfungen unter den
gegebenen Umständen wohl kaum sinnvoll waren und setzte neu an. „Ngyn würde
nicht Sie einsetzen. Sie sind Profi, nicht? Wer immer Sie geschickt haben mag:
Ich zahle mehr. Viel mehr. Bargeld, Drogen, Mädchen, was Sie wollen, Mann, ich
kann es ihnen beschaffen." Durch das Schweigen des blassen Fremden
ermutigt hob er den Blick, und sofort war der kleine Teil seines Verstandes,
der nicht vor Angst laut aufschrie, froh, daß er gerade auf der Toilette
gewesen war. „Sie sind ... Sie gibt es doch gar nicht..."
Der Protest kam in abgehackten Worten, jedes von einem
kurzen, flachen Atemstoß begleitet. Henry hatte Mühe, ihn zu verstehen. „Mich
gibt es nicht?", fragte er ruhig, beeindruckt von der zur Schau gestellten
Willenskraft, auch wenn er für den Mann selbst nichts als
Geringschätzung übrig hatte. „Dann haben Sie nichts zu befürchten, oder?"
„Bringen Sie ... es ... hinter sich ..., Sie
Hurensohn."
„Erst müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten."
Chen schluckte und kämpfte gegen das Bedürfnis, sein Kinn
zu recken. „Sie können mich mal."
Ein Knurrlaut drang tief aus Henrys Kehle.
Ein paar Minuten später drang ein neues Musikstück aus den
allgegenwärtigen Boxen, und der Leibwächter, der vor der Toilettentür stand,
öffnete diese einen Spalt breit. „Alles klar, Mr. Chen? Mr. Chen?"
Die Leiche wies keinerlei Spuren auf. Nichts, woran sich
hätte ablesen lassen, wie Harry Chen ums Leben gekommen war.
Harry Chen hatte nichts gewußt. Henry warf die
Lederhandschuhe, die er gewöhnlich beim Autofahren trug, auf den Beifahrersitz,
legte schwungvoll und recht unsanft den ersten seines BMW ein und fädelte sich
ein wenig ruckartig in den fließenden Verkehr ein. Er mußte dringend trinken,
den Hunger stillen, die Erinnerung an die Männer, die er befragt hatte, mit
Blut abwaschen. Er hatte gerade noch vermeiden können, sich an Harry Chen zu
nähren, aber das hatte ihn große Überwindung gekostet.
Sich an einem solchen Mann zu nähren hätte bedeutete, sich
an all den Leben zu nähren, die dieser zerstört hatte. Das hätte Henry nie
getan.
Aber trinken mußte er. Dringend.
Bars und Kneipen schlossen ihre Pforten, die Clubs, die
erst nach der offiziellen Sperrstunde in irgendwelchen Fabriketagen und hinter
Bühneneingängen versteckt zu arbeiten begannen, öffneten die ihren. Auf der
Straße herrschte mehr Verkehr, als Mike für möglich gehalten hätte.
„Das liegt daran, daß die Leute hier im Westend auch
wohnen und nicht nur einkaufen und sich amüsieren." Tonys erklärende
Handbewegung schloß die riesigen Wohntürme, die zwischen vier- und fünfstöckigen
Sandsteingebäuden emporragten und die Sterne zu verdecken drohten, ein. „Hier
ist es nicht wie in Toronto, hier mischt sich alles. Letzten
Herbst sind sogar ein paar Amerikaner aus Seattle
herübergekommen, um sich anzuschauen, wie wir das so prima hinkriegen."
Über das stolze ,wir' mußte Celluci schmunzeln - dann fuhr
er hastig herum, als aus dem Hinterhof, an dessen Einfahrt sie gerade
vorbeigegangen waren, das Klappern umstürzender Mülltonnen erklang, begleitet
von einem leichten Aufprall und verschiedenen üblen Flüchen.
„Immer mit der Ruhe." Tony legte Mike die Hand auf
den Arm. „Das sind nur Tonnentaucher."
„Was?" fragte Celluci erstaunt und erlaubte dem
Jüngeren, ihn zurückzuhalten.
„Obdachlose,
Weitere Kostenlose Bücher