Human
vom Kap oder der Ostküste eintreffen. Daher ist es immer von Vorteil, wenn wir weitere Waren einlagern können.« Er begutachtete die durchsichtigen Plastikzapfen voller Tomaten. Die Behälter würden ihren in Stase versetzten Inhalt erst auf Befehl reifen lassen.
Als der letzte Teil der Fracht verkauft und abgeladen war, aßen die drei Besucher in einem Straßencafé am Westrand der Gemeinde zu Mittag. Eine frische Brise, die vom Meer herüberwehte, machte die Temperatur ertragbarer. Vusi aß gerade den letzten Rest eines übergroßen Sandwiches, dessen Belag Ingrid nicht identifizieren konnte. Sie war sich auch nicht sicher, ob sie das wirklich wollte.
»Mein Onkel sagt, Sie beide seien fest entschlossen, sich umbringen zu lassen.«
»Genau. In dieser Hinsicht sind wir unbeirrbar.« Whispr trank ein Tusker-Bier aus einer sich selbst kühlenden Flasche.
»Wir lassen uns nicht umbringen.«
Ingrid sah sich um, ob sie beobachtet wurden oder jemand in ihre Richtung blickte. Whispr und sie waren zwar nicht die einzigen autorisierten Touristen in der Stadt, doch es gab auch nicht gerade viele Besucher von außerhalb, die sich noch dazu über die ganze Stadt verteilten. Ironischerweise waren zu dieser Tageszeit viele von ihnen unterwegs, um die Vögel am Fluss oder entlang des Ufers zu beobachten. Orangemund stellte eine der vielen abgelegenen unterentwickelten Gemeinden dar, die von der Regierung ermutigt und unterstützt wurden, die Tourismusindustrie weiterzuentwickeln und sie als zusätzlichen Wirtschaftszweig auszubauen. Es war weder die Schuld der Regierung noch der Einheimischen, dass kaum jemand hier Urlaub machen wollte.
Vusi hatte das Sandwich verspeist und mit dem Rest seines Biers heruntergespült, dann stand er auf. »Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück. Vermutlich werden wir uns nie wieder sehen, ob Sie nun am Leben bleiben oder nicht.«
Seine einstigen Passagiere blieben schweigend sitzen. Sie hatten es nicht eilig, weiterzumachen. Oder, wie Whispr es ausgedrückt hätte: Sie hatten es nicht eilig damit, sich umbringen zu lassen. Nachdem sie die üblichen freundlichen Abschiedsworte ausgetauscht hatten, machte sich Vusi auf den Rückweg. Die Ärztin und der Kleinkriminelle sind wieder alleine , dachte Ingrid. Alleine am Südrand von nirgendwo, wo sie sich fragen, wie sie von ihrem jetzigen Aufenthaltsort zur Nirgendwo-Anlage kamen.
Der Tourismus war immerhin so gut entwickelt, dass einige kleine Hotels gute Geschäfte machen konnten. Eines war voller Rucksacktouristen, von denen sich die meisten am liebsten in der Wüste aufhielten. Das erkannte man vor allem an ihren spezialisierten Melds: verlängerte Hautlappen zum Schutz der Ohren, vorstehende Brauen, um den Augen Schutz zu bieten, ein auf Dauer erhöhter Melaningehalt der Haut, gespreizte Füße mit verhärteten, unempfindlicheren Sohlen, mit denen man ohne Schuhe im Sand laufen konnte, einer umgeleiteten Speiseröhre, die für einen höheren Feuchtigkeitsgehalt in der Lunge sorgte, sowie fleischigen Epidermisanhängseln, mit denen der Schweiß recycelt wurde. Wo andere Melds und kein Natural ohne besondere Kleidung und Ausrüstung hingingen, da fühlten sie sich am wohlsten.
I n Oslo würden die keine Woche überstehen. Ingrid beobachtete ein junges, derart manipuliertes Paar, das ohne Hüte, Rucksäcke oder mit Wasservorräten, mit denen sie selbst gerade mal vierundzwanzig Stunden ausgekommen wäre, in Richtung Fluss unterwegs war.
Da sie notgedrungen wieder miteinander reden mussten, verbrachten Whispr und sie die nächsten Tage damit, ihre Identität als harmlose Touristen in den Augen der Einheimischen auszuleben, indem sie am Strand über den Krokodilzäunen lagen, die Mündung des Orange besuchten, Souvenirs kauften, die sie nicht mit nach Hause nehmen wollten, so taten, als würden sie einander vor den Sehenswürdigkeiten filmen, und vieles mehr. Nach den ersten beiden Tagen setzten sie ihre falschen touristischen Ausflüge fort, nur dass Whispr von Zeit zu Zeit stehen blieb und sich mit neuen Bekannten unterhielt, die auf ihn wie weniger aufrechte Bürger von entweder Orangemund oder dem ganzen SAHV wirkten.
An ihrem fünften Abend in der Stadt saßen sie gerade beim Abendessen in einem Café mit Blick auf den Fluss, als Ingrid zwar mit großem Appetit aß, aber beinahe die Geduld verlor.
»Bist du sicher, dass du mit den richtigen Leuten redest, Whispr? Wir können nicht ewig so weitermachen. Irgendwann wird man uns hier
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