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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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zu beobachten, doch sie beobachteten es so lange und aus solcher Nähe, daß sie bald zu dem Schluß kamen, es sei gar keine Zaubermühle, wie alle dachten und wie die Matronen versicherten, sondern ein mechanischer Kunstgriff, der nicht mit einem so ergreifenden, so menschlichen und von so viel Alltagswahrheit strotzenden Ding wie einer Musikkapelle zu vergleichen war. Die Enttäuschung war so groß, daß, als das Grammophon so volkstümlich wurde, daß jedes Haus eines anschaffte, man es nicht als Unterhaltungsgegenstand für Erwachsene ansah, sondern als auseinandernehmbares Spielzeug für Kinder. Hatte dagegen ein Dorfbewohner die Gelegenheit, die rauhe Wirklichkeit des auf der Eisenbahnstation eingerichteten Telefons festzustellen, das er infolge der Handkurbel für eine Vorform des Grammophons hielt, gerieten sogar die Ungläubigsten aus dem Konzept. Es war, als habe Gott beschlossen, jede Fähigkeit des Staunens auf die Probe zu stellen, und halte Macondos Einwohner in einem fortgesetzten Hin und Her des Frohlockens und der Enttäuschung, zwischen Zweifel und Offenbarung, bis schließlich niemand mehr genau wissen konnte, wo die Grenzen der Wirklichkeit lagen. Es war ein derartiges Gemisch aus Wahrheiten und Spiegelfechtereien, daß José Arcadio Buendías Gespenst unter der Kastanie sich vor Ungeduld krümmte und nicht anders konnte, als bei hellichtem Tag im Haus auf und ab zu gehen. Seit die Eisenbahnlinie offiziell eröffnet worden war und der Zug regelmäßig mittwochs um elf Uhr einfuhr, seit man das erste Stationsgebäude aus Holz errichtet hatte mit Büro, Telefon und einem Schalter zum Verkauf der Fahrscheine, sah man in Macondos Gassen Männer und Frauen, die zwar gewöhnliches, alltägliches Gebaren heuchelten, in Wirklichkeit aber Zirkusvolk glichen. Ein über die Lumpereien der Zigeuner bereits aufgebrachtes Dorf war kein günstiges Pflaster für die Gleichgewichtskünstler des fahrenden Handels, die mit dem gleichen Wortschwall einen pfeifenden Kochtopf wie ein Lebenselixier für die Rettung der Seele am siebten Tag anpriesen; doch bei denen, die sich aus Müdigkeit beschwatzen ließen, und den chronisch Unvorsichtigen strichen sie gewaltige Gewinne ein. Unter diesen Bauernfängern in Reithosen und Gamaschen, mit Tropenhelm und Stahlbrille, mit Topasaugen und Kapaunhaut traf an einem soundsovielten Mittwoch in Macondo ein Mensch ein, der im Haus der Buendías zu Mittag aß: der rundliche, lächelnde Mr. Herbert.
    Niemand achtete bei Tisch auf ihn, bis das erste Büschel Bananen verspeist war. Aureliano Segundo war ihm zufällig begegnet, als er sich in mühsamem Spanisch darüber beschwerte, daß im Hotel Jacob kein einziges Zimmer frei sei, und so lud er ihn nach Hause ein, wie er es bislang mit zahlreichen Fremden getan hatte. Dieser handelte mit Fesselballons, mit denen er in der halben Welt große Gewinne erzielt hatte; in Macondo indes hatte er niemanden bewegen können aufzusteigen, weil man dort die Erfindung als Rückschritt ansah, nachdem man die fliegenden Teppiche der Zigeuner beobachtet und erprobt hatte. So beabsichtigte er denn, mit dem nächsten Zug wieder abzureisen. Als nun das getigerte Büschel Bananen aufgetragen wurde, das beim Mittagessen gewöhnlich im Eßzimmer aufgehängt wurde, riß er die erste Frucht ohne große Begeisterung ab. Doch dann aß er im Sprechen weiter, kostend, kauend, eher zerstreut wie ein Philosoph als genießend wie ein Feinschmecker, und als er das erste Büschel aufgegessen hatte, bat er um ein zweites. Dann förderte er aus seinem Werkzeugkasten, den er immer bei sich führte, ein kleines Etui mit optischen Instrumenten zutage. Und mit der unglaublichen Aufmerksamkeit eines Diamantenkäufers musterte er eingehend eine Banane, die er mit einem besonderen Stilett in ihre Teile zerlegte, diese auf einer Apothekerwaage wog und ihren Durchmesser mit dem Winkelmaß eines Waffenschmieds maß. Nun kramte er aus dem Kasten eine Reihe von Werkzeugen hervor, mit denen er die Temperatur maß, den Feuchtigkeitsgrad der Luft und die Intensität des Lichts. Das Ganze war eine so spannende Zeremonie, daß niemand ruhig weiteressen konnte in Erwartung, Mr. Herbert möge sich über seine Versuche äußern, doch er sagte nichts, was seine Absichten erhellt hätte.
    An den folgenden Tagen sah man ihn mit einem Netz und einer Botanisiertrommel in der Umgebung des Dorfes Schmetterlinge fangen. Am Mittwoch traf ein Stab Ingenieure, Agronomen, Hydrologen, Topographen und

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