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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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nach Mr. Herberts Besuch Macondos einstige Einwohner in der Frühe aufstanden, um ihr eigenes Dorf kennenzulernen.
    »Seht, was wir uns damit eingebrockt haben«, sagte damals Oberst Aureliano Buendía, »daß wir ein Grünhorn zum Bananenessen eingeladen haben.«
    Aureliano Segundo hingegen wußte sich vor Freude über die Lawine von Ausländern gar nicht zu lassen. Bald füllte sich das Haus mit unbekannten Gästen, mit unschlagbaren Weltenbummlern, so daß es hieß, Behelfsschlafzimmer im Innenhof einrichten, das Speisezimmer erweitern und den alten Eßtisch durch einen neuen mit sechzehn Gedecken, mit neuem Geschirr und Besteck austauschen; doch auch so mußte in zwei Abteilungen zu Mittag gegessen werden. Fernanda sah sich gezwungen, ihre Bedenken zu verscheuchen und die allerverkommensten Gäste wie Könige zu empfangen, die den Hausflur mit ihren Stiefeln beschmutzten, im Garten urinierten, ihre Schlummermatten irgendwo auslegten und daherschwatzten, ohne sich um Empfindlichkeiten von Damen oder Zierereien von Herren zu scheren. Amaranta ärgerte sich so sehr über den Überfall dieses Pöbels, daß sie wieder wie in alten Zeiten in der Küche aß. Oberst Aureliano Buendía, überzeugt, daß die Mehrzahl derer, die ihn in seiner Werkstatt begrüßten, es nicht aus Sympathie oder Wertschätzung taten, sondern aus Neugierde, eine historische Reliquie zu bestaunen, ein Museumsfossil, beschloß, sich hinter Schloß und Riegel einzusperren, so daß er sich nur noch selten auf seinem Hocker vor der Haustüre sehen ließ. Ursula hingegen verspürte selbst in der Zeit, als sie bereits die Füße nachschleppte und sich an den Wänden entlangtastete, kindliche Freude beim Einfahren des Zuges. »Fleisch und Fisch braten«, befahl sie den vier Köchinnen, die sich tummelten, um unter der unermüdlichen Leitung Santa Sofías von der Frömmigkeit zur Zeit fertig zu werden. »Wir brauchen von allem«, beharrte sie, »denn man weiß nie, was die Ausländer essen wollen.« Der Zug lief in der heißesten Tageszeit ein. Zur Mittagessenszeit ließ Marktlärm das Haus erzittern, und die schwitzenden Kostgänger, die keine Ahnung hatten, wer ihre Gastgeber waren, brachen rudelweise ein, um die besten Plätze am Tisch zu erobern, während die Köchinnen sich mit ihren gewaltigen Suppenterrinen, den Fleischkesseln, den Gemüseschüsseln, den Reisplatten gegenseitig pufften und mit unerschöpflichen Schöpflöffeln Limonade aus Fäßchen einschenkten. So groß war das Durcheinander, daß Fernanda bei dem Gedanken, manch einer könnte sich zweimal bedienen, fast verzweifelte und sich bei mehr als einer Gelegenheit mit den Kraftausdrücken einer Gemüsefrau Luft machte, weil irgendein verwirrter Tischgast sie um die Rechnung bat. Über ein Jahr war seit Mr. Herberts Besuch vergangen, und man wußte nur, daß die Grünhörner Bananen in dem verzauberten Gebiet zu säen gedachten, das José Arcadio Buendía und seine Männer auf der Suche nach den großen Erfindungen durchquert hatten. Auch zwei weitere Söhne des Oberst Aureliano Buendía mit ihrem Aschenkreuz auf der Stirn kamen, herbeigeschleppt von jenem vulkanischen Rülpser, und rechtfertigten ihren Entschluß mit einem Satz, der vielleicht die Gründe aller erklärte.
    »Wir sind gekommen«, sagten sie, »weil alle Welt kommt.«
    Remedios die Schöne war die einzige, die von der Bananenseuche unangefochten blieb. Sie war in einer prachtvollen Jugendlichkeit steckengeblieben und wurde immer widerspenstiger gegen Förmlichkeiten, immer gleichgültiger gegen Böswilligkeit und Argwohn und fand das Glück in ihrer eigenen Welt schlichter Wirklichkeiten. Sie verstand nicht, warum die Frauen sich das Leben mit Miedern und Unterröcken erschwerten, weshalb sie sich eine weite Hanfsoutane schneiderte, die sie einfach über den Kopf streifte und damit das Kleidungsproblem bündig löste, ohne dabei um das Gefühl des Nacktseins zu kommen, denn das war ihrer Ansicht nach die einzig anständige Haustracht. Man bedrängte sie so sehr, sich das regengleich auf die Knöchel herabfließende Haar zu schneiden und sich mit Kämmen einen Knoten aufzustecken und Zöpfe mit bunten Bändern zu flechten, daß sie sich schlichtweg den Kopf rasierte und aus ihrer Haarpracht Perücken für die Heiligenbilder herstellte. Verblüffend an ihrem Vereinfachungstrieb war dies: Je mehr sie sich auf der Suche nach Bequemlichkeit von Modischem befreite, je mehr sie der Unmittelbarkeit folgend sich über

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