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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Elefantin furchtlos weiteraß, schien Aureliano Segundo vom vielen Reden und Lachen schlappmachen zu wollen. Dann schliefen sie vier Stunden. Nach dem Erwachen trank ein jeder den Saft von fünfzig Orangen, acht Liter Kaffee und dreißig rohe Eier. Beim zweiten Tagesanbruch nach vielen schlaflosen Stunden und nach dem Konsum zweier Schweine, eines Büschels Bananen und vier Kisten Champagners vermutete die Elefantin, Aureliano Segundo habe unwillkürlich ihre Methode entdeckt, jedoch auf dem widersinnigen Weg der völligen Verantwortungslosigkeit, und sei daher weit gefährlicher, als sie dachte. Trotzdem stand Aureliano Segundo, als Petra Cotes zwei gebratene Truthähne auftrug, am Rand der Kongestion.
    »Wenn Sie nicht mehr können, essen Sie nicht weiter«, sagte die Elefantin. »Dann machen wir >unentschieden<.«
    Ihr Vorschlag war gut gemeint, denn auch sie brachte aus Gewissensbissen darüber, daß sie den Tod ihres Gegners herbeiführte, kaum mehr einen Bissen hinunter. Doch Aureliano Segundo deutete dies als neue Herausforderung und würgte den Truthahn unter Überforderung seiner unglaublichen Freßkraft hinunter. Dann wurde er ohnmächtig. Fiel mit dem Gesicht auf den Knochenteller, schäumte wie ein Hund und erstickte unter Todesröcheln. Mitten in seiner Finsternis fühlte er, wie er von einem hohen Turm in einen bodenlosen Abgrund gestürzt wurde, und begriff in einem letzten Blitz der Hellsicht, daß ihn auf dem Grund seines Falls ohne Ende der Tod erwartete.
    »Bringt mich zu Fernanda«, stöhnte er.
    Die Freunde, die ihn zu Hause ablieferten, glaubten, er habe damit das seiner Frau gemachte Versprechen eingelöst, nicht im Bett der Konkubine zu sterben. Petra Cotes hatte die Lackstiefel eingewichst, die er im Sarg tragen wollte, und suchte bereits jemanden, der sie ihm anzöge, als man ihr meldete, Aureliano Segundo befinde sich außer Lebensgefahr. Tatsächlich war er binnen einer knappen Woche wiederhergestellt, und vierzehn Tage später feierte er das Ereignis seines Überlebens mit einer Orgie ohnegleichen. Er blieb bei Petra Cotes wohnen, besuchte jedoch Fernanda täglich und aß sogar mitunter im Familienkreis, als habe das Schicksal die Lage umgekehrt und ihn zum Gatten der Konkubine und zum Liebhaber der Gattin gemacht.
    Für Fernanda war das eine Beruhigung. Im Überdruß ihrer Verlassenheit bestand ihre einzige Zerstreuung im Klavichordüben während der Mittagspause und im Briefwechsel mit ihren Kindern. Die eingehenden Berichte, die sie ihnen alle vierzehn Tage schickte, enthielten keine wahre Zeile. Sie verschwieg ihnen ihren Kummer. Sie verbarg vor ihnen die Trostlosigkeit eines Hauses, das trotz des Lichts auf den Begonien, trotz der Gluthitze von zwei Uhr nachmittags, trotz des häufigen, in der Straße aufgellenden Festtrubels mehr und mehr dem elterlichen Kolonialpalast glich. Fernanda schlich allein zwischen drei lebenden Gespenstern und dem toten Gespenst José Arcadio Buendías umher, der sich bisweilen mit lauerndem Blick in das dämmrige Wohnzimmer setzte, während sie Klavichord spielte. Oberst Aureliano Buendía war ein Schatten. Seit seinem letzten Ausgang, um Oberst Gerineldo Márquez einen Krieg ohne Zukunft vorzuschlagen, verließ er seine Werkstatt nur, um unter der Kastanie zu urinieren. Außer dem Haarschneider alle drei Wochen empfing er keine Besuche mehr. Er ernährte sich von x-Beliebigem, das Ursula ihm einmal am Tag vorsetzte, und verfertigte seine goldenen Fischchen mit der gleichen Leidenschaft von einst, stellte aber den Verkauf ein, als er erfuhr, daß die Leute sie nicht als Schmuck erwarben, sondern als historische Reliquien. Mit Remedios' Puppen, die sein Schlafzimmer seit seinem Hochzeitstag schmückten, veranstaltete er im Innenhof ein großes Feuer. Die wachsame Ursula merkte zwar, was ihr Sohn da anstellte, konnte es jedoch nicht verhindern.
    »Du hast ein Herz aus Stein«, sagte sie.
    »Das hat nichts mit dem Herzen zu tun«, sagte er. »Das Zimmer wird voll von Motten.«
    Amaranta webte an ihrem Totenhemd. Fernanda begriff nicht, warum sie gelegentlich Briefe an Meme schrieb und ihr sogar bisweilen Geschenke schickte, dafür aber José Arcadio mit keinem Wort erwähnen wollte. »Ihr werdet sterben, ohne zu wissen, warum«, erwiderte Amaranta, als sie ihr die Frage über Ursula stellte, und diese Antwort säte in ihrem Herzen ein Rätsel, das sie nie ergründen konnte. Hochgewachsen, degengleich, hochmütig, stets angetan mit üppigen Spitzenröcken

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