Hundert Jahre Einsamkeit
gelegt. Die alten Einwohner von Macondo waren von den Neuankömmlingen verdrängt worden und sahen sich auf ihren einstigen kargen Lebensunterhalt beschränkt; immerhin trösteten sie sich mit der Auffassung, einen Schiffbruch überlebt zu haben. Im Haus wurden nach wie vor Gäste zum Mittagessen empfangen, doch in Wirklichkeit kehrte das alte Leben erst Jahre später wieder ein, als die Bananengesellschaft abgereist war. Dennoch traten grundlegende Veränderungen im überkommenen Geist der Gastlichkeit ein, da nunmehr Fernanda ihre eigenen Gesetze erzwang. Da Ursula ins Dunkel verwiesen und Amaranta von der Arbeit an ihrem Totenhemd in Anspruch genommen waren, hatte sie als einstiger Herrscherlehrling alle Freiheit, ihre Gäste zu wählen und ihnen die ihr von ihren Eltern eingedrillten strengen Formen aufzuzwingen. In einem Dorf, das durch die Gewöhnlichkeit, mit der die Fremden ihre leichterworbenen Vermögen verpulverten, auf den Kopf gestellt war, machte ihre Strenge das Haus zu einer Hochburg wiedererstandener Sitten. Für sie waren fraglos jene Menschen die anständigen, die nichts mit der Bananengesellschaft zu tun hatten. Sogar ihr Schwager José Arcadio Segundo wurde Opfer ihres diskriminierenden Eifers, weil er in anfänglicher Begeisterung von neuem seine prachtvollen Hähne versteigert und sich als Vorarbeiter in der Bananengesellschaft verdingt hatte.
»Solange der die Räude der Fremden hat«, sagte Fernanda, »kommt er mir nicht wieder ins Haus!«
Die dem Haus auferlegte Unduldsamkeit wirkte so beklemmend, daß Aureliano Segundo sich bei Petra Cotes endgültig wohler fühlte. Unter dem Vorwand, seine Frau zu entlasten, verlegte er zunächst die Lustbarkeiten dorthin. Unter dem Vorwand, die Tiere verlören ihre Fruchtbarkeit, verlegte er anschließend die Vieh- und Pferdeställe. Unter dem Vorwand, das Haus der Konkubine sei weniger heiß, verlegte er endlich das kleine Kontor, in dem er seinen Geschäften nachging. Als Fernanda merkte, daß sie eine Witwe war, ohne daß ihr Mann das Zeitliche gesegnet hätte, war es bereits zu spät, um die Dinge wieder in ihren früheren Zustand zu bringen. Aureliano Segundo aß kaum mehr zu Hause, und der einzige Anschein, den er wahrte, wie den Beischlaf mit seiner Frau, genügte nicht, irgend jemanden zu überzeugen. Eines Nachts blieb er versehentlich bis zum Morgen in Petra Cotes' Bett liegen. Wider sein Erwarten machte Fernanda ihm nicht den geringsten Vorwurf und stieß auch keinen Seufzer des Grolls aus, sandte dafür aber noch am selben Tag seine zwei Kleidertruhen ins Haus der Konkubine. Sandte sie in hellichter Sonne und mit der ausdrücklichen Anweisung an die Träger, sie mitten auf der Straße zu tragen, damit alle Welt sie sähe, in der Annahme, ihr verirrter Mann werde die Schande nicht ertragen können und mit gesenkter Stirn in den Pferch zurückkehren. Doch jene heroische Geste war nur ein weiterer Beweis, wie schlecht Fernanda nicht nur den Charakter ihres Mannes kannte, sondern auch das Wesen einer Gemeinschaft, die nichts mit der ihrer Eltern zu tun hatte, denn jeder, der die Truhen auf der Reise sah, sagte sich, das sei schließlich der natürliche Schlußpunkt einer Geschichte, deren Interna ein jeder kannte, und Aureliano Segundo feierte die geschenkte Freiheit mit einem Lustfest von drei Tagen. Zu allem Unglück für die Gattin, die mittlerweile mit ihren düsteren Talarkleidern, ihren anachronistischen Medaillons und ihrem abwegigen Hochmut in eine traurige Reife sank, schien die Konkubine in einer zweiten Jugend zu erblühen, gehüllt in hübsche Kleider aus Naturseide, die Augen vom Rachefeuer getigert. Aureliano Segundo ergab sich ihr wieder wie früher mit der Glut der Jugend, als Petra Cotes ihn nicht seinetwegen begehrte, sondern weil sie ihn mit seinem Zwillingsbruder verwechselte, und, während sie mit beiden gleichzeitig schlief, dachte, Gott habe ihr das Glück beschert, einen Mann zu haben, der so liebte, als wäre er zwei. Ihre wiederhergestellte Leidenschaft loderte so heftig, daß sie mehr als einmal, wenn sie sich zu Tisch setzten und dabei einander anblickten, die Schüssel zudeckten und im Schlafzimmer vor Hunger und Liebe starben. Angeregt von den Gegenständen, die er anläßlich seiner flüchtigen Besuche bei den französischen Matronen gesehen hatte, kaufte Aureliano Segundo Petra Cotes ein Bett mit einem erzbischöflichen Baldachin, ließ die Fenster mit Samtvorhängen schmücken und Decke und Wände des
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