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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Garten. Als sie endlich abzogen, waren die Blumen zertrampelt, die Möbel zerschlagen und die Wände mit Skizzen und Aufschriften verschandelt, doch in ihrer Erleichterung über ihre Abreise verzieh Fernanda ihnen den Schaden. Sie gab die Betten und Hocker zurück, stellte aber die zweiundsiebzig Nachttöpfe in Melchíades' Kammer ab. Die verriegelte Behausung, um die in früherer Zeit das geistige Leben des Hauses gekreist hatte, war seit jener Zeit als Nachttopfzimmer bekannt. Für Oberst Aureliano Buendía war das der passendste Namen, denn während die übrige Familie sich weiterhin wunderte, daß Melchíades' Zimmer gegen Staub und Verfall gewappnet war, sah er es in eine Mistgrube verwandelt. Jedenfalls schien es ihm gleichgültig zu sein, wer recht hatte, und wenn er von dem Schicksal der Kammer erfuhr, so nur, weil Fernanda ihn einen ganzen Nachmittag durch ihr dauerndes Hereinkommen störte, um die Nachttöpfe zu verwahren.
    In jenen Tagen tauchte José Arcadio Segundo wieder im Haus auf. Schritt geradeswegs durch die Veranda, ohne jemanden zu begrüßen, und schloß sich zu einem Gespräch mit dem Oberst in der Werkstatt ein. Obschon Ursula ihn nicht sehen konnte, erkannte sie ihn an seinen Vorarbeiterstiefelabsätzen und staunte über den unrettbaren Abstand, der ihn von der Familie, ja von seinem Zwillingsbruder trennte, mit dem er in der Kindheit erfinderische Verwechslungsspiele gespielt hatte und mit dem ihn kein einziger Zug mehr verband. Er war gradlinig, feierlich und wirkte nachdenklich, war von Sarazenenschwermut und hatte einen düsteren Glanz in seinem herbstfarbenen Gesicht. Am meisten glich er seiner Mutter, Santa Sofía von der Frömmigkeit. Ursula warf sich ihre Neigung vor, ihn zu vergessen, wenn sie von der Familie sprach, doch als sie ihn wieder im Haus spürte und merkte, daß der Oberst ihn während seiner Arbeitszeit in die Werkstatt einließ, prüfte sie wiederum ihre alten Erinnerungen und fand sich in ihrer Annahme bestätigt, daß er in einem bestimmten Augenblick seiner Kindheit mit seinem Zwillingsbruder getauscht habe, weil eigentlich er und nicht der andere Aureliano hätte heißen müssen. Niemand kannte sein Leben im einzelnen. Zu einer Zeit erfuhr man, daß er keinen festen Wohnsitz habe, daß er in Pilar Terneras Haus Hühner züchte und bisweilen dort schlafe, daß er indes fast immer bei den französischen Matronen übernachte. Ohne Liebe, ohne Ehrgeiz trieb er dahin, wie eine Sternschnuppe in Ursulas Planetensystem.
    In Wirklichkeit war José Arcadio Segundo kein Mitglied der Familie und würde auch nie einer anderen angehören seit jenem fernen Morgengrauen, an dem Oberst Gerineldo Márquez ihn mit in die Kaserne genommen hatte, nicht um eine Erschießung zu erleben, sondern um für den Rest seines Lebens nie mehr das traurige, etwas spöttische Lächeln des Erschossenen zu vergessen. Das war nicht nur die älteste, sondern auch die einzige Erinnerung seiner Kindheit. Die andere an einen Greis in einer anachronistischen Weste und einem Schlapphut mit rabenschwingengleicher Krempe, der vor einem blendendhellen Fenster Wundergeschichten erzählte, vermochte er in keiner bestimmten Zeitspanne unterzubringen. Es war eine unsichere, von Lehren oder Sehnsüchten bare Erinnerung im Gegensatz zu der Erinnerung an den Erschossenen, die wirklich die Richtung seines Lebens bestimmt hatte und mit zunehmendem Alter immer deutlicher in seinem Gedächtnis wiederkehrte, als bringe der Ablauf der Zeit sie ihm näher. Ursula suchte sich José Arcadio Segundos zu bedienen, damit Oberst Aureliano Buendía sein Schneckenhausdasein aufgäbe. »Überrede ihn doch dazu, daß er ins Kino geht«, sagte sie. »Wenn er auch die Filme nicht mag, so kommt er dabei wenigstens mal an die frische Luft.« Doch bald wurde ihr bewußt, daß er ihren Bitten gegenüber genauso unempfindlich war, wie es der Oberst gewesen wäre, und daß beide gleichermaßen gewappnet waren gegen menschliches Gefühl. Wenngleich weder sie noch irgend jemand je erfuhr, wovon die beiden bei ihren langen Werkstattsitzungen sprachen, sah sie dennoch ein, daß sie als einzige Familienmitglieder verwandtschaftliche Beziehungen verbanden.
    In Wirklichkeit hätte José Arcadio Segundo den Oberst auch nicht aus seiner Vereinsamung herauszureißen vermocht. Der Überfall der Schülerinnen hatte seine Geduld auf die höchste Probe gestellt. Unter dem Vorwand, trotz der Vernichtung von Remedios' verführerischen Puppen sei das

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