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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Uhr zu Catarinos Zelt kam, hatte die Junge bereits das Dorf verlassen.
    Die Zeit besänftigte zwar sein törichtes Vorhaben, verschlimmerte indes sein Gefühl des Scheiterns. So flüchtete er sich in die Arbeit. Er fand sich damit ab, sein ganzes Leben ein Mann ohne Frau zu sein, um das Beschämende seiner Nutzlosigkeit zu verbergen. Währenddessen hielt Melchíades alles auf seinen Platten fest, was in Macondo festzuhalten war, und überließ das Laboratorium der Daguerreotypie José Arcadio Buendía, der beschlossen hatte, damit den wissenschaftlichen Beweis für die Existenz Gottes zu erbringen. Durch ein verwickeltes Verfahren übereinandergeschobener, an mehreren Stellen des Hauses vorgenommener Belichtungen war er gewiß, Gott, sofern er existiert, früher oder später daguerreotypisch aufnehmen oder mit der Mutmaßung seiner Existenz ein für alle Male aufräumen zu können. Melchíades vertiefte sich in die Deutungen des Nostradamus. Abends blieb er lange auf, erstickte fast in seiner verfärbten Samtweste und bekritzelte Zettel mit seinen winzigen Spatzenfingern, deren Ringe ihren einstigen Glanz verloren hatten. Eines Nachts glaubte er eine Weissagung über Macondos Zukunft gefunden zu haben. Es würde eine leuchtende Stadt sein mit großen Glashäusern, in denen keine Spur vom Stamm der Buendías übrig sein würde. »Irrtum«, donnerte José Arcadio Buendía. »Es werden keine Glas-, sondern Eishäuser sein, so wie ich es geträumt habe, und es wird immer einen Buendía geben, durch alle Jahrhunderte hindurch.« In jenem überspannten Haus kämpfte Ursula für die Aufrechterhaltung des gesunden Menschenverstandes und hatte ihr Geschäft mit den Karameltierchen durch einen Backofen erweitert, der die ganze Nacht Körbe um Körbe Brot backte, außerdem eine fabelhafte Vielfalt von Aufläufen, Schaumgebäck und Kekssorten, die in wenigen Stunden auf den verzweigten Wegen des Moors verschwanden. Zwar hatte sie ein Alter erreicht, in dem sie Anrecht auf Ruhe hatte, aber dennoch wurde sie immer tätiger. Sie war so beschäftigt mit ihren einträglichen Unternehmungen, daß sie eines Nachmittags aus Zerstreutheit in den Innenhof blickte, während die Indiofrau ihr beim Süßen des Teigs half, und zwei unbekannte, bildschöne junge Mädchen sah, die beim Dämmerlicht auf Rahmen stickten. Es waren Rebeca und Amaranta. Beide hatten gerade die Trauer um ihre Großmutter abgelegt, die sie drei Jahre hindurch mit unbeugsamer Strenge getragen hatten, und nun schien die bunte Kleidung ihnen einen neuen Platz in der Welt anzuweisen. Rebeca war wider Erwarten die Schönere. Sie hatte eine durchscheinende Haut, große, ruhevolle Augen und Zauberhände, die den Rahmen mit unsichtbaren Fäden zu besticken schienen. Amaranta, der jüngeren, fehlte es ein wenig an Anmut, dafür besaß sie aber die natürliche Hoheit und den inneren Stolz der toten Großmutter. Neben ihnen war Arcadio ein Knabe, obwohl er bereits das körperliche Ungestüm seines Vaters verriet. Eifrig hatte er das Goldschmiedehandwerk bei Aureliano erlernt, der ihm auch Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Ursula wurde plötzlich bewußt, daß das Haus voller Menschen war, daß ihre Kinder nahezu reif waren zum Heiraten und Kinderkriegen und mangels Wohnraum gezwungen sein würden, das Weite zu suchen. Daher nahm sie ihre in langen Jahren harter Arbeit angesammelten Ersparnisse, lieh sich Geld bei ihren Kunden und machte Pläne für den Ausbau des Hauses. Dieses sollte ein offizielles Besuchszimmer umfassen, ein zweites bequemeres, kühleres für den täglichen Gebrauch, ein Eßzimmer mit einem Tisch von zwölf Plätzen für die ganze Familie und alle Gäste, neun Schlafzimmer mit Fenstern auf den Innenhof und eine gegen den Glast des Mittags von einem Rosengarten geschützte, lange Veranda mit Balustrade zum Aufstellen von Kübeln mit Farnkräutern und Töpfen mit Begonien. Auch die Küche sollte für den Einbau von zwei Backöfen vergrößert werden, die alte Kornkammer, in der Pilar Ternera José Arcadio die Zukunft aus den Karten gelesen hatte, sollte abgerissen und durch den Neubau einer zweimal so großen ersetzt werden, damit es im Hause nie an Lebensmitteln fehle. Im Innenhof sollten im Schatten der Kastanie ein Frauenbad und ein Männerbad gebaut werden, sowie ganz hinten ein geräumiger Pferdestall, ein drahtumflochtener Hühnerstall, ein Melkstall und ein nach allen Himmelsrichtungen geöffneter Vogelkäfig, damit ziellose Vögel sich nach Lust

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