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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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tauchte eines Nachts ohne Vorankündigung in Catarinos Zelt wieder auf. Das ganze Dorf lief zusammen, um zu hören, was sich mittlerweile in der Welt zugetragen hatte. Diesmal kam er in Begleitung einer Frau, die so dickleibig war, daß sie von vier Indios in einem Schaukelstuhl getragen werden mußte, sowie einer halbwüchsigen Mulattin von hilflosem Aussehen, die sie mit einem Regenschirm gegen die Sonne schützte. An diesem Abend suchte Aureliano Catarinos Zelt auf. Er fand Francisco-den-Mann, der wie ein monolithisches Chamäleon inmitten von Gaffern saß. Mit seiner alten, verstimmten Stimme besang er die Neuigkeiten und begleitete sich auf demselben uralten Akkordeon, das Sir Walter Raleigh ihm in Guayana geschenkt hatte, während er mit seinen salpeterzerfressenen Siebenmeilenfüßen den Takt dazu schlug. Vor einer Hintertür, durch die etliche Männer ein- und austraten, saß die Schaukelstuhlmatrone und fächelte sich schweigsam. Catarino, eine Filzrose hinter dem Ohr, verkaufte den Zuschauern Becher mit gegorenem Zuckerrohrsaft und nutzte die Gelegenheit, sich den Männern zu nähern und ihnen die Hand auf unerlaubte Stellen zu legen. Gegen Mitternacht wurde die Hitze unerträglich. Aureliano hörte den Nachrichten bis zum Ende zu, ohne daß irgendeine für seine Familie von Belang gewesen wäre. Schon schickte er sich zum Gehen an, als die Matrone ihm winkte.
    »Komm doch auch rein«, sagte sie, »es kostet nur zwanzig Centavos.«
    Aureliano warf eine Münze in die Sparbüchse, welche die Matrone zwischen den Knien hielt, und betrat, ohne zu wissen, wozu, die Kammer. Die junge Mulattin mit ihren Hundetitten lag nackt auf dem Bett. Vor Aureliano waren am selben Abend bereits dreiundsechzig Männer durch die Kammer geschleust worden. Die Luft des Raumes war so schlierig und zäh von Schweiß und Gestöhn, daß sie bereits Schlamm zu werden begann. Das junge Weib zog das durchnäßte Leintuch ab und bat Aureliano, es auf einer Seite anzufassen. Es wog so schwer wie Segeltuch. Gemeinsam wrangen sie es aus und drehten die Enden so lange, bis es sein natürliches Gewicht wiedererlangt hatte. Dann wendeten sie die Matte um und ließen den Schweiß abtropfen. Aureliano wünschte, diese Vorkehrungen würden nie enden. Theoretisch kannte er die Mechanik der Liebe, hielt sich jedoch wegen seiner schwachen Knie kaum auf den Beinen, und obgleich er eine heiße Gänsehaut hatte, konnte er dem Drang, die Last seiner Eingeweide loszuwerden, kaum widerstehen. Als die Junge ihr Bett gemacht hatte und ihm befahl, sich auszuziehen, erklärte er töricht: »Man hat mich hergeschickt. Hat mir gesagt, ich solle zwanzig Centavos in die Sparbüchse zahlen und solle nicht trödeln.« Die Junge verstand seine Verwirrung. »Wenn du beim Hinausgehen weitere zwanzig Centavos zahlst, kannst du etwas länger bleiben«, sagte sie sanft. Aureliano zog sich schamgequält aus, ohne die Vorstellung loszuwerden, daß seine Nacktheit keinen Vergleich mit der seines Bruders aufnehmen könne. Trotz der Bemühungen der Jungen fühlte er sich immer gleichgültiger und furchtbar einsam. »Ich zahle zwanzig Centavos mehr«, sagte er mit trostloser Stimme. Die Junge dankte stumm. Ihr Rücken war wund, ihre Haut klebte an ihren Rippen, und ihr Atem stockte vor unermeßlicher Erschöpfung. Vor zwei Jahren, sehr weit weg, war sie einmal eingeschlafen, ohne die Kerze zu löschen, und war dann flammenumlodert aufgewacht. Das Haus, in dem sie mit ihrer Großmutter, die sie aufgezogen hatte, wohnte, brannte zu Asche herunter. Seit jenem Tag schleppte die Großmutter sie von Dorf zu Dorf und bot sie für zwanzig Centavos feil, um den Wert des abgebrannten Hauses zurückzugewinnen. Nach den Berechnungen der Jungen fehlten noch etwa zehn Jahre mit siebzig Männern jede Nacht, weil sie überdies für die Reisekosten, die Ernährung beider und das Gehalt der schaukelstuhltragenden Indios aufkommen mußte. Als die Matrone zum zweitenmal an die Tür klopfte, verließ Aureliano dem Weinen nahe erfolglos die Kammer. Die ganze Nacht tat er kein Auge zu und dachte an die Junge mit einem Gemisch aus Begierde und Mitleid. Er empfand das unwiderstehliche Bedürfnis, sie zu lieben und zu beschützen. Bei Tagesanbruch, erschöpft von Schlaflosigkeit und Fieber, beschloß er gelassen, sie zu heiraten, um sie von der Ausbeutung der Großmutter zu befreien und jede Nacht die Befriedigung zu genießen, die sie siebzig Männern schenkte. Als er aber am nächsten Morgen um zehn

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