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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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erbleichte, trat einen Schritt zurück und preßte die Kiefern zusammen, um bekümmert zu sagen:
    »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich bewaffnet bin.«
    José Arcadio Buendía wußte nicht, in welchem Augenblick ihm jene jugendliche Kraft in die Arme stieg, mit der er ein Pferd zu Boden werfen konnte. Er packte Don Apolinar Moscote an den Rockaufschlägen und hob ihn auf die Höhe seiner Augen.
    »Ich tue das«, sagte er, »weil ich Sie lieber lebend trage, als daß ich Sie für den Rest meines Lebens tot tragen muß.«
    So trug er ihn an seinen Rockaufschlägen mitten auf die Straße, bis er ihn auf dem Moorweg auf seine beiden Füße stellte. Eine Woche später war er mit sechs barfüßigen, zerlumpten, musketenbewaffneten Soldaten wieder da und einem Ochsenfuhrwerk, auf dem seine Frau und seine sieben Töchter reisten. Später kamen zwei weitere Karren mit den Möbeln, den Truhen und dem Hausrat nach. Während er ein Haus beschaffte und im Schutz seiner Soldaten die Kanzlei eröffnete, brachte er seine Familie im Hotel Jacob unter. Entschlossen, die Eindringlinge zu vertreiben, stellten sich Macondos Gründer mit ihren erwachsenen Söhnen José Arcadio Buendía zur Verfügung. Doch er nahm ihr Anerbieten nicht an, da, wie er erläuterte, Don Apolinar Moscote mit Frau und Töchtern zurückgekommen und es eines Mannes unwürdig sei, einen anderen Mann vor seiner Familie zu demütigen. Daher beschloß er, die Angelegenheit gütlich zu regeln.
    Aureliano begleitete ihn. Schon damals hatte er seinen mit pomadisierten Zwirbelspitzen geschmückten schwarzen Schnurrbart zu kultivieren begonnen und befleißigte sich einer leidlichen Stentorstimme, die ihn im Krieg auszeichnen sollte. Unbewaffnet und ohne auf die Wachsoldaten zu achten, betraten sie die Kanzlei des Landrichters. Don Apolinar Moscote verlor nicht die Ruhe. Er stellte ihnen zwei seiner zufällig anwesenden Töchter vor: Amparo, sechzehnjährig, dunkel wie ihre Mutter, und die kaum neunjährige Remedios, ein köstliches kleines Geschöpf mit Lilienhaut und grünen Augen. Beide waren graziös und wohlerzogen. Noch bevor die Mädchen vorgestellt waren, boten sie den kaum Eingetretenen Stühle zum Sitzen an.
    »Gut, mein Freund«, sagte José Arcadio Buendía. »Sie bleiben also hier. Doch nicht etwa, weil diese beiden Wegelagerer vor der Tür stehen, sondern dank Ihrer Frau Gemahlin und Ihrer Töchter.«
    Don Apolinar Moscote schien die Fassung zu verlieren, doch José Arcadio Buendía ließ ihm keine Zeit zu antworten. »Wir stellen Ihnen nur zwei Bedingungen«, fügte er hinzu. »Die erste: Ein jeder darf sein Haus anmalen, wie er will. Die zweite: Die Soldaten gehen sofort heim. Wir bürgen für die Ordnung.« Der Landrichter hob die weitgespreizte rechte Hand. »Ehrenwort?«
    »Feindeswort«, sagte José Arcadio Buendía. Und fügte bitter hinzu: »Denn eines will ich Ihnen sagen: Sie und ich bleiben Feinde.«
    Noch am selben Nachmittag zogen die Soldaten ab. Wenige Tage später besorgte José Arcadio Buendía dem Landrichter für seine Familie ein Haus. Jedermann hatte seinen Frieden, ausgenommen Aureliano. Das Bild von Remedios, der jüngsten Tochter des Landrichters, die dem Alter nach seine Tochter hätte sein können, schmerzte irgendwo in seinem Körper. Es war eine körperliche Empfindung, die ihn beim Gehen belästigte wie ein Steinchen im Schuh.
     

 
     
     
     
     
     
    Das neue taubenweiße Haus wurde mit einem Ball eingeweiht. Ursula war auf den Einfall an jenem Nachmittag gekommen, als sie Rebeca und Amaranta zu heranwachsenden jungen Mädchen verwandelt gesehen hatte; man kann also fast sagen, daß der Hauptgrund für den Neubau ihr Wunsch war, den jungen Mädchen eine würdige Stätte für den Empfang von Besuchern zu schaffen. Damit es ihrem Vorhaben nicht an Glanz fehlte, arbeitete sie wie ein Galeerensklave, während die Umbauten im Gang waren, so daß sie bereits vor deren Beendigung kostspielige Geräte für die Ausschmückung und Bedienung bestellt hatte, darunter jene herrliche Erfindung, die das Staunen des Dorfes und den Jubel der Jugend auslösen sollte: das Pianola. Es kam in Teilen, kistenweise verpackt, und wurde zusammen mit den Wiener Möbeln ausgeladen, dem böhmischen Kristall, dem Porzellan der Indischen Kompagnie, dem holländischen Tischzeug und einer reichen Auswahl von Lampen, Kandelabern und Blumenvasen, Putz und Teppichen. Die Importfirma schickte auf eigene Rechnung einen italienischen Fachmann, Pietro

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