Hundert Jahre Einsamkeit
Crespi, der das Pianola zusammensetzte, stimmte, die Käufer in der Handhabung anleitete und sie lehrte, nach den neuesten, auf sechs Papierrollen gestanzten Melodien zu tanzen.
Pietro Crespi war jung und blond, der hübscheste, besterzogene Mensch, der bislang in Macondo gesehen worden war, und sein Anzug war so gepflegt, daß er trotz der erstickenden Hitze in seinem Brokatkamisol und der dicken schwarzen Tuchjoppe arbeitete. Schweißverklebt und ehrerbietigen Abstand von der Herrschaft des Hauses haltend, schloß er sich ebenso hingebungsvoll wie Aureliano in seiner Goldschmiedewerkstatt mehrere Wochen im Wohnzimmer ein. Eines Morgens, ohne die Tür zu öffnen, ohne zu dem Wunder einen Zeugen zu berufen, spannte er die erste Rolle in das Pianola ein, und das ohrenbetäubende Hämmern und unablässige Dröhnen der Holzlatten verstummte aus Staunen über die Harmonie und Reinheit der Musik. Alle stürzten ins Wohnzimmer. José Arcadio Buendía schien überwältigt, nicht etwa von der Schönheit der Melodie, sondern von den selbsttätigen Tasten des Pianola, und stellte sofort Melchíades' Kamera im Zimmer auf, in der Hoffnung, einen Daguerreotyp von dem unsichtbaren Spieler aufnehmen zu können. An jenem Tag speiste der Italiener mit der Familie zu Mittag. Rebeca und Amaranta, die bei Tisch bedienten, fühlten sich eingeschüchtert durch die Behendigkeit, mit der dieser engelhafte Mensch mit seinen bleichen, ringlosen Fingern die Bestecke handhabte. Dann lehrte Pietro Crespi sie in dem neben dem Besuchszimmer gelegenen Wohnzimmer tanzen. Er zeigte ihnen die Schritte, ohne sie zu berühren, gab mit einem Metronom den Takt an, alles unter der liebenswürdigen Wachsamkeit Ursulas, die den Raum während des Tanzunterrichts keinen Augenblick verließ. Pietro Crespi trug in jenen Tagen besondere, ebenso dehnbare wie enge Hosen, sowie Lackpantoffeln. »Du brauchst dich nicht zu sorgen«, sagte José Arcadio Buendía zu seiner Frau. »Dieser Mann ist doch ein Süßling.« Sie aber ließ nicht ab von ihrer Wachsamkeit, solange die Tanzstunden nicht vorüber waren und der Italiener nicht Macondo verlassen hatte. Nun begannen die Festvorbereitungen. Ursula stellte eine strenge Gästeliste zusammen, in die nur Nachfahren der Gründer aufgenommen wurden mit Ausnahme der Familie von Pilar Ternera, die bereits zwei andere Kinder von unbekannten Vätern gehabt hatte. Es war wahrhaftig eine erlesene, nur von Freundschaftsgefühlen bestimmte Auswahl, denn die Begünstigten waren nicht nur die ältesten Verwandten der Familie José Arcadio Buendía aus der Zeit vor dem Auszug, der in Macondos Gründung gipfelte, auch waren ihre Söhne und Enkel seit ihrer Kinderzeit Aurelianos und Arcadios vertraute Gespielen, und ihre Töchter waren die einzigen, die das Haus besuchten, um mit Rebeca und Amaranta zu sticken. Don Apolinar Moscote, der gütige Gouverneur, dessen Tätigkeit sich darauf beschränkte, mit seinen spärlichen Mitteln die beiden mit Holzknüppeln bewaffneten Polizisten zu unterhalten, war eine schmuckvolle Autorität. Um den Haushalt zu bestreiten, eröffneten seine Töchter eine Nähstube, in der sie sowohl Filzblumen anfertigten als auch Goiyabapaste und Liebesbriefe auf Bestellung. Doch wenngleich sie gesittet und gefällig waren, als die Schönsten im Dorf und die Geschicktesten bei den neuen Tänzen galten, so gelang es ihnen nicht, von den Festteilnehmern gewürdigt zu werden.
Während Ursula und die jungen Mädchen Möbel auspackten, Bestecke putzten und Gemälde mit Jungfrauen in rosenbeladenen Booten aufhängten, Bilder, die damit den von den Maurern errichteten nackten Wänden einen Hauch neues Leben einflößten, gab José Arcadio Buendía, von seiner Nichtexistenz überzeugt, die Verfolgung des Abbilds Gottes auf und nahm das Pianola auseinander, um seine geheime Magie zu enträtseln. Zwei Tage vor dem Fest, in einer Sintflut aus überzähligen Klappen und Hämmern ertrinkend, in einem Gewirr von Saiten herumpfuschend, die sich an einem Ende aufrollten, wenn er sie am anderen abrollte, gelang es ihm zu guter Letzt, das Instrument eher schlecht als recht zusammenzusetzen. Nie hatte das Haus so viel Trubel und Gerenne erlebt wie in jenen Tagen, und doch gingen die neuen Teerlampen zur vorherbestimmten Stunde und Minute an. Noch nach Harz und feuchtem Kalk riechend, öffnete sich das Haus, und die Kinder und Enkel der Gründer lernten die Veranda der Farne und Begonien kennen, die stillen Wohnräume, den von
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