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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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bringen vermochten. Amaranta nahm sich Aureliano Josés an. Sie betrachtete ihn wie einen Sohn, der ihre Einsamkeit teilen und von dem unbeabsichtigten Laudanum erleichtern sollte, das ihre unsinnigen Gebete in Remedios' Kaffee geschüttet hatten. Abends kam Pietro Crespi auf Zehenspitzen mit einem schwarzumflorten Hut und stattete einer in ihrem schwarzen, langärmeligen Kleid blutleer wirkenden Rebeca seinen Besuch ab. Der bloße Gedanke an einen neuen Hochzeitstermin wäre so unehrerbietig gewesen, daß die Verlobung in einen Dauerzustand überging, in eine erschlaffte Liebe, die niemand mehr beachtete, als wären die Verliebten, die in vergangenen Tagen die Lampen beschädigten, um sich küssen zu können, der Willkür des Todes zum Opfer gefallen. Richtungslos und völlig ratlos aß Rebeca von neuem Erde.
    Plötzlich — als die Trauerzeit schon so lange dauerte, daß die Kreuzstichnachmittage wiederaufgenommen worden waren — stieß jemand in der tödlichen Stille der Hitze gegen zwei Uhr nachmittags die Haustür auf, und die Türpfosten zitterten so stark im Zement, daß Amaranta und ihre in der Veranda stickenden Freundinnen, daß die im Schlafzimmer am Daumen lutschende Rebeca, daß Ursula in der Küche, Aureliano in seiner Werkstatt und sogar José Arcadio Buendía unter der einsamen Kastanie den Eindruck hatten, ein Erdbeben hebe das Haus aus den Angeln. Ein ungewöhnlicher Mensch war angekommen. Seine kantigen Schultern gingen kaum durch die Türen. Er trug ein kleines Medaillon der Jungfrau-von-den-Heilmitteln um seinen Bisonhals, Arme und Brust waren vollständig mit geheimen Tätowierungen bedeckt, und sein rechtes Handgelenk umspannte der enge Kupferreif der Kinder-am-Kreuz . Seine Haut war vom Salz der Unwetter gegerbt, sein Haar war kurz und borstig wie die Mähne eines Maulesels, seine Kiefern waren eisern und sein Blick traurig. Sein Gürtel war doppelt so dick wie der Sattelgurt eines Pferdes, seine Stiefel waren mit Gamaschen, Sporen und eisenbeschlagenen Absätzen versehen, und seine Gegenwart wirkte erschütternd wie ein Erdbebenstoß. Etliche halbzerfetzte Quersäcke tragend, durchschritt er Besuchs- und Wohnzimmer und erschien mit Donnergetöse in der Begonienveranda, wo Amaranta und ihre Freundinnen, ihre Sticknadeln zückend, wie gelähmt saßen. »Guten«, sagte er mit erschöpfter Stimme, warf die Säcke auf den Arbeitstisch und schritt auf die hinteren Räume des Hauses zu. »Guten«, sagte er zu der erschrockenen Rebeca, die ihn an ihrer Schlafzimmertür vorbeigehen sah. »Guten«, sagte er zu Aureliano, der mit hellwachen fünf Sinnen an seinem Goldschmiedetisch saß. Er unterhielt sich mit niemandem und ging unmittelbar in die Küche, und dort hielt er zum erstenmal am Ende einer Reise inne, die er am anderen Ende der Welt begonnen hatte. »Guten«, sagte er. Ursula blieb für den Bruchteil einer Sekunde der Mund offenstehen, dann blickte sie ihm in die Augen, stieß einen Schrei aus und hängte sich vor Freude schreiend und weinend an seinen Hals. Es war José Arcadio. Er kehrte so arm zurück, wie er ausgezogen war, und zwar so arm, daß Ursula ihm zwei Pesos geben mußte, damit er das Mietpferd bezahlen konnte. Er sprach ein mit Seemannssprache untermischtes Spanisch. Man fragte ihn, wo er ewesen sei, und er antwortete: »Dortwo.« Er spannte seine Hängematte in der ihm zugewiesenen Kammer auf und schlief drei Tage lang. Als er erwachte und nachdem er sechzehn rohe Eier verspeist hatte, schritt er unmittelbar zu Catarinos Butike, wo seine monumentale Korpulenz unter den Weibern panikhafte Neugierde auslöste. Er bestellte auf seine Rechnung Musik und Schnaps für alle. Er schloß mit fünf Männern gleichzeitig Kraftwetten ab. »Unmöglich«, sagten sie, als sie sich davon überzeugten, daß es ihnen nicht gelang, seinen Arm von der Stelle zu bewegen. »Er hat Kinder-am-Kreuz.« Catarino, der nicht an Kraftproben glaubte, wettete zwölf Pesos darauf, daß er nicht die Theke würde fortschieben können. José Arcadio riß sie von ihrem Platz weg, hob sie freihändig über seinen Kopf in die Höhe und trug sie auf die Straße. Elf Männer waren notwendig, um sie wieder hereinzutragen. In der Hitze des Feierns präsentierte er auf der Theke seine unwahrscheinliche Männlichkeit, die über und über mit einem blau-roten Wortgeflecht in mehreren Sprachen tätowiert war. Die Weiber, die ihn mit ihrer Lüsternheit belagerten, fragte er, wer von ihnen am meisten zahle. Die, welche am

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