Hundert Jahre Einsamkeit
dem anberaumten Hochzeitstag erwachte die kleine Remedios um Mitternacht, gebadet von einem heißen Absud, der mit herzzerreißendem Rülpsen aus ihren Eingeweiden hervorbrach, und drei Tage später starb sie an der eigenen Blutvergiftung und an quer in ihrem Leib verklemmten Zwillingen. Amaranta erlitt eine Gewissenskrise. Sie hatte mit solcher Inbrunst zu Gott gebetet, er möge etwas Schlimmes eintreten lassen, damit sie Rebeca nicht zu vergiften brauche, daß sie sich an Remedios' Tod schuldig fühlte. Das war nicht das Hindernis, das sie so innig erfleht hatte. Remedios hatte einen Hauch der Fröhlichkeit ins Haus gebracht. Sie hatte sich mit ihrem Mann in einem neben der Werkstatt gelegenen Alkoven eingerichtet, den sie mit den Puppen und Spielsachen ihrer jüngsten Kindheit verzierte, und ihre fröhliche Lebendigkeit trat über die vier Wände des Alkovens und durchdrang wie ein Windstoß guter Gesundheit die Begonienveranda. Früh beim ersten Sonnenstrahl begann sie zu singen. Sie war der einzige Mensch, der bei Rebecas und Amarantas Streitereien zu vermitteln suchte. Sie lud sich die mühselige Arbeit auf, José Arcadio Buendía zu betreuen. Brachte ihm sein Essen, half ihm bei seinen täglichen Bedürfnissen, wusch ihn mit Seife und Waschlappen, säuberte ihm Haar und Bart von Läusen und Nissen, hielt sein Palmendach in Ordnung und verstärkte es bei Gewittern mit wasserdichtem Segeltuch. In ihren letzten Monaten hatte sie gelernt, sich mit ihm in primitivem Latein zu unterhalten. Als Aurelianos und Pilar Terneras Sohn geboren, ins Haus gebracht und bei einer familiären Zeremonie auf den Namen Aureliano José getauft wurde, entschied Remedios, er solle als ihr ältester Sohn behandelt werden. Ihr Muttertrieb überraschte Ursula. Aureliano seinerseits fand in ihr die Rechtfertigung, die ihm zum Leben fehlte. Er arbeitete jeden Tag in der Werkstatt, und Remedios b rachte ihm während des Vormittags eine Tasse Kaffee ohne Zucker. Abends besuchten sie gemeinsam die Moscotes. Aureliano spielte mit dem Schwiegervater endlose Partien Domino, während Remedios mit ihren Schwestern schwatzte oder mit ihrer Mutter Erwachsenengespräche führte. Die Verbindung mit den Buendías festigte Don Apolinar Moscotes Autorität im Dorf. Bei häufigen Reisen in die Provinzhauptstadt erwirkte er bei der Regierung den Bau einer Schule, damit Arcadio, der Großvaters Lehreifer geerbt hatte, sie besuche. Er erreichte durch Überredung, daß die Mehrzahl der Häuser zur Feier der nationalen Unabhängigkeit blau angestrichen wurde. Auf Betreiben Pater Nicanors führte er den Umzug von Catarinos Butike in eine entlegene Straße durch und ließ mehrere ärgerniserregende Orte, die mitten im Dorf blühten, schließen. Einmal kam er mit sechs gewehrbewaffneten Polizisten zurück, denen er die Aufrechterhaltung der Ordnung übertrug, ohne daß auch nur ein Mensch an die ursprüngliche Vereinbarung gedacht hätte, wonach das Dorf keine Bewaffneten unterhalten dürfe. Aureliano freute sich an der Betriebsamkeit seines Schwiegervaters. »Du wirst ebenso fett werden wie er«, sagten seine Freunde zu ihm. Doch das seßhafte Leben, das seine Backen aufschwemmte und den Glanz seiner Augen vertiefte, vermehrte nicht sein Gewicht und änderte auch nicht seinen knauserigen Charakter, vielmehr verhärtete es auf seinen Lippen die strenge Linie der einsamen Meditation und der unerbittlichen Entschlußkraft. So tief war die Zuneigung, die er und seine Gattin in beiden Familien erweckt hatten, daß, als Remedios verkündete, sie bekomme ein Kind, sogar Rebeca und Amaranta einen Waffenstillstand schlossen, um Babyzeug zu stricken, und zwar in blauer Wolle, sofern es ein Junge, und in rosafarbener, sofern es ein Mädchen werden würde. Sie war der letzte Mensch, an den Arcadio wenige Jahre später vor dem Erschießungskommando denken sollte.
Ursula ordnete Trauer mit geschlossenen Türen und Fenstern an, damit das Haus nur im äußersten Notfall betreten oder verlassen würde; sie verbot für ein Jahr lautes Sprechen und stellte Remedios' von einem schwarzen Flor umkränzten und von einem ewigen Lämpchen beleuchteten Daguerreotyp in dem Raum auf, in dem die Totenwache gehalten wurde. Künftige Geschlechter, die das Lämpchen nie ausgehen ließen, sollten außer Fassung geraten über dieses Kind im Faltenrock, in weißen Stiefeletten und einer Organzaschleife im Haar, das sie nicht mit dem erwarteten Bild einer Urgroßmutter in Übereinstimmung zu
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