Hundert Jahre Einsamkeit
Reife.
»Natürlich, Crespi«, sagte sie. »Doch erst, wenn wir uns besser kennen. Es ist nie gut, die Dinge zu übereilen.«
Ursula war beunruhigt. Trotz ihrer Wertschätzung für Pietro Crespi konnte sie nicht mit sich ins reine kommen, ob seine Entscheidung nach der langen, lauten Verlobungszeit mit Rebeca vom moralischen Standpunkt aus gut oder schlecht war. Doch zu guter Letzt nahm sie es als eine wertfreie Tatsache hin, weil niemand ihre Zweifel teilte. Aureliano, der Herr des Hauses, brachte sie mit seiner rätselhaft-endgültigen Meinung vollends aus der Fassung:
»Die Zeiten sind nicht danach, ans Heiraten zu denken.«
Diese Meinung, die Ursula erst einige Monate später verstand, war die einzige aufrichtige, die Aureliano in jenem Augenblick äußern konnte, nicht nur im Hinblick auf die Eheschließung, sondern auch auf irgendeine Angelegenheit, die nicht den Krieg betraf. Er selbst sollte vor dem Erschießungskommando nicht sonderlich gut die Verkettung jener Reihe von feinen, aber unwiderruflichen Zufällen begreifen, die ihn bis zu diesem Punkt geführt hatten. Remedios' Tod hatte in ihm nicht die Erschütterung ausgelöst, die er befürchtet hatte. Es war eher ein dumpfes Gefühl der Wut gewesen, die allmählich zu einer einsamen, leidvollen Empfindung des Scheiterns zerfloß, ähnlich jener, die er in Zeiten durchlebt hatte, als er sich mit einem Leben ohne Frau abgefunden hatte.
Wieder stürzte er sich in die Arbeit, bewahrte aber die Gewohnheit, mit seinem Schwiegervater Domino zu spielen. In einem trauergelähmten Haus befestigten die abendlichen Unterhaltungen die Freundschaft der beiden Männer. »Heirate wieder, Aurelito«, riet der Schwiegervater. »Ich habe sechs Töchter zur Auswahl.« Bei einer bestimmten Gelegenheit, am Vorabend der Wahlen, kehrte Don Apolinar Moscote, besorgt über die politische Lage des Landes, von einer seiner häufigen Reisen zurück. Die Liberalen waren entschlossen, sich in den Krieg zu stürzen. Da Aureliano zu jener Zeit ziemlich wirre Vorstellungen von den Unterschieden zwischen Konservativen und Liberalen hatte, erteilte sein Schwiegervater ihm schematischen Unterricht. Die Liberalen, so sagte er, seien Freimaurer; Leute von schlechtem Charakter, die folglich dafür stimmten, Priester aufzuhängen, die standesamtliche Trauung und die Scheidung einzuführen, außerehelichen Kindern die gleichen Rechte wie rechtmäßigen einzuräumen und das Land in ein Föderalsystem zu zerstückeln, das die höchste Machtbefugnis aller Rechte entkleiden würde. Die Konservativen dagegen, welche die Macht unmittelbar von Gott empfangen hatten, kämpften für die Beständigkeit der öffentlichen Ordnung und der Familienmoral; sie waren die Verfechter des Glaubens an Christus, des Autoritätsprinzips und waren nicht bereit, die Aufteilung des Landes in autonome Einheiten zu gestatten. Aus humanitären Gründen liebäugelte Aureliano mit der liberalen Einstellung im Hinblick auf die Rechte der unehelichen Kinder, begriff jedoch keineswegs, daß man sich wegen Dingen, die nicht mit Händen zu greifen waren, zu einem Krieg versteigen konnte. Es kam ihm überhaupt übertrieben vor, daß sein Schwiegervater für die Wahlen eines von politischen Leidenschaften unberührten Dorfs sechs von einem Sergeanten befehligte gewehrtragende Soldaten kommen ließ. Diese kamen nicht nur an, sondern zogen auch noch von Haus zu Haus und beschlagnahmten alle Jagdwaffen, Buschmesser und sogar Küchenmesser, bevor sie unter alle Männer über einundzwanzig Jahre blaue Zettel mit den Namen der konservativen Kandidaten und rote Zettel mit den Namen der liberalen Kandidaten verteilten. Am Vorabend der Wahlen verlas Don Apolinar Moscote höchstpersönlich eine Verordnung, die von Samstag mitternacht an achtundvierzig Stunden lang den Verkauf alkoholischer Getränke und Versammlungen von mehr als drei nicht derselben Familie angehörigen Personen verbot. Die Wahlen verliefen ohne Zwischenfälle. Am Sonntagmorgen um acht Uhr stand auf dem Platz die von den sechs Soldaten bewachte Holzurne. Es wurde in aller Freiheit gewählt, wie Aureliano sich selbst überzeugen konnte, der fast den ganzen Tag mit seinem Schwiegervater aufpaßte, daß keiner mehr als einmal wählte. Um vier Uhr nachmittags verkündete ein Trommelwirbel auf dem Platz das Ende des Wahltags, und Don Apolinar Moscote versiegelte die Urne mit einem eigenhändig unterzeichneten Etikett. An jenem Abend, während er mit Aureliano Domino spielte,
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