Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
Vom Netzwerk:
schließlich ihre Schenkel streichelte und murmelte: »Ach Schwesterchen, ach Schwesterchen.« Sie mußte sich übernatürlich anstrengen, um nicht zu sterben, als eine verblüffend beherrschte Zyklonenkraft sie an der Taille hochhob, sie mit drei Griffen ihrer Unterwäsche entledigte und sie zermalmte wie ein Vögelchen. Sie konnte noch gerade Gott für ihre Geburt danken, bevor sie in dem unbegreiflichen Genuß jenes unerträglichen Schmerzes das Bewußtsein verlor, während sie in dem dampfenden Sumpf der Hängematte plantschte, welche die Explosion ihres Blutes wie Löschpapier verschluckte.
    Drei Tage später heirateten sie während der Fünfuhrmesse. José Arcadio war am Tage zuvor in Pietro Crespis Laden gegangen. Er hatte ihn beim Zitherunterricht angetroffen und daher nicht auf die Seite gerufen. »Ich heirate Rebeca«, sagte er. Pietro Crespi erbleichte, übergab die Zither einem seiner Schüler und erklärte die Unterrichtsstunde für beendet. Als sie in dem von Musikinstrumenten und Aufziehspielzeug wimmelnden Salon allein waren, sagte Pietro Crespi:
    »Sie ist Ihre Schwester.«
    »Ist mir gleichgültig«, erwiderte José Arcadio.
    Pietro Crespi wischte sich mit einem lavendelbesprengten Taschentuch über die Stirn.
    »Es ist gegen die Natur«, erklärte er. »Und außerdem verbietet es das Gesetz.«
    José Arcadio Buendía verlor die Geduld, doch weniger über Pietro Crespis Einwände als über dessen Blässe.
    »Ich scheiß zweimal auf die Natur«, sagte er. »Und ich komme eigens her, es Ihnen zu sagen, damit Sie sich nicht die Mühe machen und Rebeca Fragen stellen.«
    Doch sein brutales Verhalten sank sofort in sich zusammen, als er Pietro Crespis feuchte Augen sah.
    »Wenn Ihnen aber die Familie zusagt«, sagte er in verändertem Tonfall, »ist noch Amaranta da.«
    In seiner Sonntagspredigt offenbarte Pater Nicanor, daß José Arcadio und Rebeca keine Geschwister seien. Ursula verzieh nie das, was sie einen unbegreiflichen Mangel an Respekt nannte, und verbot den Neuvermählten nach der Rückkehr aus der Kirche, jemals wieder die Schwelle ihres Hauses zu betreten. Für sie war es, als seien sie tot. So mieteten sie ein Häuschen vor dem Friedhof und richteten sich darin ohne Möbel außer José Arcadios Hängematte ein. In der Hochzeitsnacht wurde Rebecas Fuß von einem Skorpion gebissen, der in ihren Pantoffel geschlüpft war. Ihre Zunge schlief ein, doch das hinderte das Paar nicht, aufsehenerregende Flitterwochen zu feiern. Die Nachbarn erschraken von den Schreien, die das ganze Viertel bis zu achtmal in der Nacht und bis zu dreimal im Mittagsschlummer weckten, und beteten, daß eine so entfesselte Leidenschaft nicht den Frieden der Toten störe.
    Aureliano war der einzige, der sich um sie kümmerte. Er kaufte ihnen ein paar Möbel und verschaffte ihnen Geld, bis José Arcadio den Sinn für die Wirklichkeit wiederfand und das an den Innenhof des Hauses grenzende Niemandsland bestellte. Amaranta hingegen vermochte nie ihren Groll gegen Rebeca zu überwinden, wenngleich ihr das Leben eine nie erträumte Genugtuung bescherte: auf das Betreiben Ursulas, die nicht wußte, wie sie die Beschämung wiedergutmachen sollte, aß Pietro Crespi, der sein Fiasko mit besonnener Würde überwunden hatte, dienstags im Hause zu Mittag. Er trug weiterhin den schwarzen Trauerflor um den Hut, zum Zeichen, wie sehr er die Familie schätzte, und gefiel sich darin, Ursula seine Zuneigung durch exotische Mitbringsel zu beweisen: portugiesische Sardinen, Türkenrosenpaste und bei einer besonderen Gelegenheit einen hinreißenden Manilaschal. Amaranta kam ihm mit liebevoller Beflissenheit entgegen. Sie erriet seine Vorlieben, riß die zerfaserten Fäden an seinen Hemdmanschetten ab und schenkte ihm zu seinem Geburtstag ein Dutzend Taschentücher mit eigens eingesticktem Monogramm. Dienstags nach dem Mittagessen, während sie in der Veranda stickte, leistete er ihr fröhliche Gesellschaft. Für Pietro Crespi war diese Frau, die er stets als Kind betrachtet und behandelt hatte, eine Offenbarung. Wenngleich sie der Anmut entbehrte, besaß sie seltene Empfindsamkeit, die Dinge der Welt einzuschätzen, und dazu eine geheime Zärtlichkeit. Eines Dienstags, als niemand mehr zweifelte, daß dies früher oder später eintreten würde, bat Pietro Crespi sie, ihn zu heiraten. Sie unterbrach nicht ihre Arbeit. Sie wartete, bis die heiße Röte ihrer Ohren geschwunden war, und verlieh ihrer Stimme den Unterton besonnener

Weitere Kostenlose Bücher