Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
Vom Netzwerk:
meisten besaß, bot zwanzig Pesos. Daraufhin schlug er vor, die Nummer für zehn Pesos unter allen zu verlosen. Das war ein gewaltiger Preis, da die meistbegehrte Frau acht Pesos in der Nacht verdiente, doch alle waren einverstanden. Sie schrieben ihre Namen auf vierzehn Zettel, die sie in einen Hut warfen, und jede Frau zog einen. Als nur noch zwei Zettel übrig waren, wurden die Eigentümer festgestellt.
    »Weitere fünf Pesos für jede«, schlug José Arcadio vor, »und ich teile mich in beide.«
    Davon lebte er. Als Mitglied einer heimatlosen Schiffsbesatzung war er fünfundsechzigmal um den Erdball gefahren. Die Frauen, die sich in jener Nacht in Catarinos Butike zu ihm legten, trugen ihn nachts in die Tanzdiele, um feststellen zu können, daß jeder Millimeter seines K örpers vorn und hinten, vom Hals bis zu den Fußspitzen, tätowiert war. Sich in seiner Familie einzuleben, war ihm unmöglich. Er schlief den ganzen Tag und verbrachte die Nacht im Vergnügungsviertel bei Kraftwetten. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo Ursula ihn an den Familientisch brachte, stellte er ein bezwingendes Wesen zur Schau, besonders wenn er von seinen Abenteuern in fernen Ländern erzählte. Er war nach einem Schiffbruch zwei Wochen ziellos in der Japanischen See getrieben und hatte sich vom Leib eines Gefährten ernährt, der einem Sonnenstich erlegen war und dessen gesalzenes und wiedergesalzenes und an der Sonne gekochtes Fleisch körnig-süßlich schmeckte. An einem strahlenden Mittag im Golf von Bengalen hatte sein Schiff einen Meerdrachen bezwungen, in dessen Bauch sie den Helm, die Schnallen und die Waffen eines Kreuzfahrers fanden. Er hatte im Karibischen Meer das Gespenst von Victor Hughes Korsar gesehen; die Segel waren vom Todeswind zerfetzt, das Mastwerk von Meerschaben zerfressen, und der Kurs auf Guadeloupe war für immer verfehlt. Ursula weinte bei Tisch, als läse sie die nie angekommenen Briefe, in denen José Arcadio von seinen Taten und Fehlschlägen berichtete. »Und dabei haben wir hier soviel Platz, mein Sohn«, schluchzte sie. »Und dabei ging soviel Essen hinaus zu den Schweinen!« Doch im Grunde konnte sie sich nicht vorstellen, daß der junge Bursche, den die Zigeuner mitgenommen hatten, der gelbe Schnapphahn war, der zum Mittagessen ein halbes Spanferkel verspeiste und von dessen Blähungen die Blumen welkten. Der übrigen Familie ging es nicht viel anders. Amaranta vermochte ihren Ekel nicht zu verbergen, den ihr sein bestialisches Rülpsen bei Tisch verursachte. Arcadio, der nie das Geheimnis seiner Abstammung erfahren hatte, beantwortete kaum die Frage, die er ihm mit der offensichtlichen Absicht stellte, seine Zuneigung zu erobern. Aureliano suchte die Zeit wieder zu durchleben, in der sie im gleichen Zimmer geschlafen hatten, er versuchte die alte Kindergemeinsamkeit wiederherzustellen, doch José Arcadio hatte beides vergessen, weil das Seemannsleben die Erinnerung mit zu vielen erinnerbaren Dingen gesättigt hatte. Nur Rebeca erlag dem ersten Eindruck. An dem Nachmittag, an dem sie ihn an ihrem Schlafzimmer vorbeigehen sah, dachte sie, Pietro Crespi sei nichts als ein Zuckermandelgeck neben diesem Proto-Mann, dessen vulkanischer Atem im ganzen Haus zu hören war. So suchte sie seine Nähe unter jedwedem Vorwand. Einmal betrachtete José Arcadio ihren Körper mit schamloser Aufmerksamkeit und sagte: »Bist ein Mordsweib, Schwesterchen.« Rebeca verlor die Selbstbeherrschung. Wieder aß sie mit der Gier vergangener Tage Erde und Kalk von den Wänden und lutschte so begehrlich am Daumen, daß sie eine Hornhaut bekam. Erbrach eine grüne, mit toten Blutegeln vermischte Brühe. Verbrachte wache Nächte, fieberschlotternd, gegen das Delirium ankämpfend und wartend, bis im Morgengrauen das Haus bei José Arcadios Rückkehr zitterte. Eines Nachmittags, als alle ihr Schlummerstündchen genossen, hielt sie es nicht länger aus und ging in sein Schlafzimmer. Sie fand ihn in Unterhosen wach in der mit Schiffstauen an den Balken festgespannten Hängematte liegen. Seine riesige, vierschrötige Nacktheit beeindruckte sie dermaßen, daß sie den Rückzug antreten wollte. »Verzeihung«, sagte sie. »Ich wußte nicht, daß Sie da sind.« Dabei senkte sie die Stimme, um niemanden zu wecken. »Komm her«, sagte er. Rebeca gehorchte. Blieb an der Hängematte stehen, Eis schwitzend und spürend, wie sich ihre Eingeweide verknoteten, während José Arcadio mit den Fingerspitzen ihre Knöchel, dann ihre Waden und

Weitere Kostenlose Bücher