Hundert Namen: Roman (German Edition)
Sie einen richtig positiven Artikel haben möchten, dann wäre es sehr wichtig, dass Sie anfangen zu reden.«
Nachdenkliches Schweigen. Dann sagte er: »Gut.«
Fünf Minuten später erschien er in einem seiner elegant-modischen Anzüge. Als er Kittys Fahrrad sah, verzogen sich seine Mundwinkel zu einer Art Lächeln. »Wie putzig. Gehen Sie doch ein Stück mit mir, Judy Bloom, ich möchte nämlich nicht, dass jemand mich mit Ihnen in Ihren Pumps aus der letzten Saison sieht.«
Kitty grinste, und sie wanderten zum Denkmal der großen Hungersnot, beugten sich übers Geländer und blickten über die ziemlich trübe Liffey.
»Kommen wir gleich zur Sache. Ich bin schwul.« Nigel sah Kitty an, aber sie war nicht in der Stimmung für geistreiche Kommentare. »Ich komme aus einem kleinen Dorf in Donegal, wo jeder jeden kennt. Sobald ich reden konnte, wusste ich, dass ich schwul bin, und in meiner Familie ist das absolut inakzeptabel. Mein Vater ist Milchbauer, sein Vater war Milchbauer und dessen Vater ebenfalls. Ich bin der einzige Junge in der Familie, und man hat ganz selbstverständlich von mir erwartet, dass ich den Hof übernehme. Aber dieses Leben ist nichts für mich. Meine Eltern sind fanatische Katholiken. Für sie ist die Hölle ein ganz realer Ort. Hätten meine Schwestern vor der Ehe Sex gehabt, wären sie aus dem Haus geworfen worden – falls jemand dahintergekommen wäre. Meine Familie lebt in einer Welt voller religiöser Regeln, und die werden nicht gebrochen. Sie wagen keinen Blick über den Tellerrand, ihr Dorfleben ist alles, was sie kennen. Homosexualität …« Er lachte bitter. »Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, was sie darüber denken. Wenn mein Vater schon nicht verstehen konnte, dass ich nicht für den Rest meines Lebens Milchbauer sein wollte, wie sollte er dann erst verstehen, dass ich Männer liebe. Als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht ins Familiengeschäft einsteigen wollte, hat er fast ein Jahr kein Wort mit mir gesprochen. Malen Sie sich aus, wie er reagiert hat, als ich ihm gesagt habe, dass ich schwul bin. Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich hatte jemanden kennengelernt, der für mein Leben sehr wichtig war, und es fühlte sich an wie eine große Lüge, nicht über ihn und mein Leben in Dublin zu sprechen und ihn nicht mit nach Hause zu bringen. Schließlich habe ich meiner Familie deshalb reinen Wein eingeschenkt, und meine Mutter kommt einigermaßen damit zurecht, solange wir nicht darüber sprechen. Allerdings betet sie jeden Tag dafür, dass ich geheilt werde. Aber mein Vater hat sich geweigert, im gleichen Haus wie ich zu sein. Er hat mir nicht mehr ins Gesicht gesehen und nicht mehr mit mir geredet.«
»Das muss sehr schwer für Sie gewesen sein.«
»War es auch.«
Er schwieg.
»So blieb es fünf Jahre lang. Wir haben fünf Jahre lang kein Wort miteinander gewechselt. Na ja, ich hab’s versucht … Aber dann kam der sechzigste Geburtstag meines Vaters, und wahrscheinlich hat es sich nicht richtig für ihn angefühlt, dass ich nicht dabei sein würde. Ich wollte ihm etwas schenken, ein Geschenk, das er sich irgendwann anschauen konnte, wenn er dazu bereit war, und vielleicht würde er dann verstehen, was ich ihm zu sagen versuchte. Und da habe ich Eva angeheuert.«
»Wo haben Sie von ihr gehört?«
»Sie hatte einem Freund von mir geholfen«, antwortete er und lächelte. »Aber das ist eine andere Geschichte, die kann ich Ihnen irgendwann einmal erzählen. Eva hat eine ganze Woche bei uns in Donegal verbracht, auf so etwas besteht sie. Es war eine unbehagliche Situation für sie, aber sie hat das phantastisch bewältigt. Sie hat sich einfach eingefügt.«
Kitty war auch schon aufgefallen, dass das Evas besondere Stärke zu sein schien.
»Meine Mutter war überzeugt, dass Eva meine Freundin war, dass ich endlich ›geheilt‹ war, und sie hat Eva sehr freundlich aufgenommen.«
»Und Ihr Vater?«
»Er hat es immerhin geschafft, im Haus zu schlafen, solange ich da war, ein deutlicher Fortschritt, aber zum Essen und überhaupt tagsüber war er immer weg. Zum Geburtstag haben meine Schwestern ihm ein Motorrad gekauft, was er sich schon sein Leben lang gewünscht hat, aber ich wollte, dass er von mir etwas bekommt, was mir und ihm noch mehr bedeutet. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass Eva solch ein Geschenk finden würde.«
»Und – hat sie es geschafft?«
Zu Kittys Überraschung schüttelte Nigel den Kopf. »Nein, ihr Geschenk konnte nicht
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