Hundert Namen: Roman (German Edition)
.« Aus ihrem Mund klang das wie ein Schimpfwort. Dann senkte sie die Stimme, damit niemand das schmutzige Geheimnis mitbekam, das nun folgte. »Sie gehört zu denen, die glauben, dass ihre Kunst für sich spricht.« Sie verdrehte die Augen. »Also ehrlich. Mit diesem Mist muss ich mich ja schon bei meinen Autoren die ganze Zeit rumschlagen. Die glauben, ihr Werk ist ihre Stimme, und sie kapieren nicht, dass sie ihm diese Stimme geben müssen. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass Leute wie wir – wie Sie und ich, Kitty – ihnen helfen, ihre verdammte Kunst zu verkaufen. Wissen Sie, wie lange es gedauert hat, bis ich Eva dazu überreden konnte, diesen ›Dedicated‹-Blog zu starten? Diese Leute glauben, dass solche profanen Dinge dem im Wege stehen, was sie der Welt meinen geben zu können. Denken Sie doch mal drüber nach – wenn James Joyce heute leben würde, glauben Sie nicht auch, dass er sein Zeug durch Twittern wesentlich zugänglicher machen könnte?«
Kitty hoffte inständig, dass niemand dieses Gespräch belauschte.
»Wie auch immer«, fuhr Gaby unbeirrt fort und wedelte wegwerfend mit der Hand. »Eva ist eine hochinteressante Frau, sie hat ein großes Herz, man muss nur eine Menge Zeit mit ihr verbringen, bis sie bereit ist, sich ein bisschen zu öffnen, aber wenn man das schafft, na ja, dann versteht man alles.«
»Wissen Sie denn etwas über Eva?«
»Ich weiß mehr als die meisten, was nicht viel heißt, aber ich habe ein-, zweimal einen Blick auf ihr Innenleben erhascht. Sie war drei Jahre lang mit meinem Bruder zusammen. Er ist ein Idiot, aber sie war immer unglaublich nett. Seither sind wir ziemlich gut befreundet. Ich hab ihr versprochen, ihr zu helfen, und ich werde sie nicht im Stich lassen.«
Eigentlich hatte Kitty mit Gaby über etwas sprechen wollen, was mit Eva Wu gar nichts zu tun hatte, aber wo sie nun schon einmal hier zusammensaßen und das Thema auf dem Tisch war, interessierten sie neue Erkenntnisse über die Frau, zu der sie keinen richtigen Zugang fand, natürlich durchaus.
»Es würde helfen, wenn ich wenigstens mit ihren Kunden sprechen und von ihnen hören könnte, was Eva für sie getan hat. Sie ist so eine Geheimniskrämerin.«
»Nicht so sehr eine Geheimniskrämerin, aber sie hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt ihren Kunden gegenüber. Sie besteht auf absoluter Diskretion. Für sie geht es bei ihrer Arbeit um mehr als nur um Geschenke, und eigentlich hat sie recht. Was sie tut, ist etwas ganz Besonderes.«
Verwirrt schüttelte Kitty den Kopf.
»Ich weiß. Aber wenn Sie in Cork sind, werden Sie das garantiert besser verstehen.«
»Woher wussten Sie, dass ich nach Cork fahre?«
»Zu der Hochzeit? Davon bin ich einfach ausgegangen.«
»Oh, die Hochzeit! Am Freitag!« Kitty schnappte nach Luft. »Natürlich.« Wegen der ganzen Aufregung um Birdies bevorstehenden Ausflug hatte sie die Hochzeit, bei der Eva der Webb-Familie ihre Geschenke präsentieren sollte, völlig vergessen. »Wie ist Eva denn normalerweise unterwegs?«, fragte sie.
»Sie fährt mit dem Auto oder mit dem Zug. Wieso?«
»Fragen Sie sie doch bitte, ob sie mit mir am Donnerstag ausnahmsweise im Bus nach Cork fahren möchte. Ich hab dort etwas zu erledigen, und ich glaube, das würde ihr gefallen.«
»Klar, mach ich«, versprach Gaby, schaute dabei aber schon über Kittys Schulter, weil ihr nächster Termin nahte. »Da ist Jools Scott. Der Autor. Großartig auf Papier, aber im persönlichen Kontakt kriegt er kaum ein vernünftiges Wort heraus. Wenn ich auch nur ein Interview für ihn bekomme, ist das echt gut«, erklärte sie aus dem Mundwinkel und winkte dem Mann dann fröhlich zu.
»Ehe Sie gehen, muss ich Sie noch um etwas bitten. Bestimmt werden Sie das dauernd gefragt, aber Sie könnten mir einen großen Gefallen tun.« Damit war Kitty bei dem wahren Grund für dieses Treffen. Sie legte Richies USB-Stick auf den Tisch und fixierte Gaby mit ihrem charmantesten Lächeln.
Zu Kittys großer Freude übernahm Gaby die Rechnung auf Spesen ihres Verlags – vermutlich ihr finales Bestechungsgeschenk an Kitty, damit sie einen positiven Artikel über Eva schrieb. Mit dem Gefühl, dass sie Eva etwas schuldig war, weil sie sie zweimal versetzt hatte, beschloss Kitty, Nigel aus George Webbs Kanzlei anzurufen, und lief los.
»Molloy Kelly Solicitors.«
»Hier ist Kitty Logan. Ich bin vor Ihrem Büro. Eva Wu ist enorm diskret, wenn es um ihre Klienten geht, und erzählt mir kein Wort. Wenn
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