Hundert Namen: Roman (German Edition)
Backen auf und stieß die Luft wieder aus. »Da drin ist es echt heftig.«
»Was haben Sie gehört?«
Er sah sie unsicher an. »Das ist doch irgendwie … privat, oder nicht?«
»Aber ich muss es wissen«, erwiderte Kitty schlicht. »Wie soll ich sonst etwas darüber schreiben? Und es ist ja nicht so, als wären Sie ein Priester, der der Schweigepflicht unterliegt.«
»Trotzdem«, beharrte er achselzuckend. »Ich möchte lieber nicht darüber sprechen. Man betet ja für gewöhnlich nicht, wenn man glücklich ist. Und wenn doch, dann geht man nicht an einem Wochentag um neun in die Kirche.«
Auf dem Liffey Boardwalk, einer nach Süden ausgerichteten Promenade am Fluss, auf der man gut zum Lunch oder mit einer Tasse Kaffee die frische Luft genießen konnte, blieben sie stehen. Die verhuschte Frau eilte zu dem Kiosk an der O’Connell Bridge und begann, alles für ihre Schicht fertigzumachen.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte Archie.
»Ich finde, Sie sollten denen helfen, denen Sie helfen können. Ich denke, das wird Ihnen helfen. Und ich denke, Sie sollten mit ihr anfangen«, antwortete sie mit Blick auf die Frau aus dem Café.
»Die Leute werden mich für verrückt halten, wenn das rauskommt.«
»Wäre das nicht besser als das, was die Leute jetzt über Sie denken?«
Archie ließ sich ihren Einwand durch den Kopf gehen, hielt dann Ausschau nach einer Lücke im Verkehr und eilte über die Straße auf den Kiosk zu.
»Ich finde, Sie sollten ihr noch eine Chance geben«, sagte Gaby zu Kitty bei ihrem zweiten Espresso im Merrion Hotel am Merrion Square. Kitty hatte sie am Abend zuvor angerufen, um ein Treffen zu vereinbaren, Gaby hatte den Ort ausgesucht und bisher ununterbrochen geredet. Kitty hoffte, dass sie auch die Rechnung begleichen würde, denn es war der teuerste Kaffee, den sie jemals getrunken hatte. Sie saßen draußen im Garten, überall um sie herum fanden ebenfalls Meetings statt, und Gaby war stets mit einem Auge und einem Ohr bei den Gesprächen der anderen, was vermutlich umgekehrt ebenso der Fall war. Jetzt zündete sie sich gerade die nächste Zigarette an. Aus irgendeinem Grund schien sie davon auszugehen, dass Kitty vorhatte, Eva aus ihrem Artikel zu streichen, und redete wie ein Wasserfall über Evas Karriere, erwähnte Stars und Promi-Klienten, mit denen sie arbeitete, Magazine, die über sie geschrieben hatten. Zum Teil stimmte es, dass es Kitty widerstrebte, ihre kostbare Zeit mit Eva zu verbringen, nachdem diese ihre Geschenk-Frage so aalglatt mit der Geschichte von My Little Pony abgebügelt hatte, doch das hatte sie bisher weder Eva noch Gaby mitgeteilt. Aber die beiden waren ja nicht dumm. Kitty hatte im Lauf der letzten Tage zweimal eine Gesprächsmöglichkeit ausgeschlagen, eben weil sie nicht sicher war, ob Eva ihr je etwas über sich selbst und nicht nur über ihr Geschäft erzählen würde, und sie hatte einfach nicht genug Zeit, sich mit einer Frau abzugeben, die ihr vorkam wie ein Buch mit sieben Siegeln.
»Sie ist in der Vogue auf der ›Who’s hot‹-Liste erwähnt worden und in der Cosmopolitan in der Spalte ›Young and happening‹. Sie ist einfach phänomenal.« Gaby schloss die Augen und spannte ihren ganzen Körper an, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Dann öffnete sie die Augen wieder und zog an ihrer Zigarette.
»Sie lässt keinen an sich ran, Gaby. Jedes Mal, wenn ich ihr eine Frage stelle, verweigert sie entweder die Antwort oder steuert das Gespräch auf ihre Arbeit zurück. Ich weiß, sie arbeitet hart, und sie vertritt ihr Firmenethos mit Leidenschaft, aber ich brauche mehr. Die anderen Leute, die ich interviewe, sind viel …« Kitty suchte nach einem höflichen Wort für das, was sie ausdrücken wollte, aber dann fiel ihr ein, dass sie mit Gaby sprach und dass Höflichkeit bei ihr nicht zählte. »Die anderen sind zugänglicher, offener. Sie wecken mein Interesse. Sobald ich ein bisschen tiefer grabe, entdecke ich immer mehr. Aber Eva ist nicht bereit, sich zu öffnen, und ich möchte sie nicht zwingen, über Dinge zu reden, über die sie nicht reden will. So arbeite ich nicht.«
Gaby zog eine Augenbraue in die Höhe. Offensichtlich war sie in diesem Punkt anderer Meinung.
»Zumindest nicht mehr«, fügte Kitty hinzu und reckte selbstbewusst das Kinn.
»Es ist nicht einfach, Eva kennenzulernen, das weiß ich. Das Problem mit Eva ist …« – sie legte eine Kunstpause ein, und prompt hing Kitty an ihren Lippen – »… ihre Kreativität
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