Hundert Namen: Roman (German Edition)
aber dann gab sie das Witzeln auf. Sie hätte schon vor über einem Monat kommen sollen.
Eine Weile war es ganz still im Zimmer, und auf einmal merkte Kitty, dass Constance auf eine Erklärung wartete, warum sie sie nicht besucht hatte.
»Ich hasse Krankenhäuser.«
»Ich weiß. Nosocomephobie«, sagte Constance.
»Was ist das denn?«
»Angst vor Krankenhäusern.«
»Ich wusste gar nicht, dass es ein Wort dafür gibt.«
»Es gibt für alles ein Wort. Ich kann seit zwei Wochen nicht mehr kacken, das nennt man Anismus.«
»Ich könnte einen Artikel darüber schreiben«, sagte Kitty, und ihre Gedanken schweiften ab.
»Auf gar keinen Fall! Meine rektale Trägheit geht niemanden etwas an außer dir, mir, Bob und der netten Dame, der ich erlaube, sich meinen Hintern anzusehen.«
»Nein, ich meinte die Krankenhausphobie. Das wäre eine gute Geschichte.«
»Erklär mir, warum.«
»Stell dir vor, ich finde jemanden, der richtig schlimm krank ist und sich wegen so einer Phobie nicht behandeln lassen kann.«
»Dann kriegt er eben zu Hause seine Medikamente. Kein Problem.«
»Aber was, wenn eine Frau mit Geburtswehen vor dem Krankenhaus auf und ab läuft, weil sie es nicht schafft, durch die Tür zu gehen?«
»Dann kriegt sie das Kind eben im Krankenwagen oder zu Hause oder auf der Straße.« Constance zuckte die Achseln. »Ich habe mal über eine Frau im Kosovo berichtet. Sie musste sich verstecken, die Geburt setzte ein, sie war völlig allein, und es war ihr erstes Kind. Erst zwei Wochen später hat man die beiden gefunden, gesund und munter. In Afrika kriegen Frauen ihre Kinder bei der Feldarbeit, und nach der Geburt machen sie sofort weiter. In manchen Indianerstämmen treiben die Frauen die Geburt voran, indem sie tanzen. In der westlichen Welt läuft das irgendwie verkehrt«, sagte sie und wedelte wegwerfend mit der Hand, obwohl sie selbst nie Kinder gehabt hatte. »Ich hab mal einen Artikel darüber geschrieben.«
»Dann vielleicht ein Arzt, der nicht zur Arbeit kann.« Kitty konnte einfach nicht von ihrer Idee lassen.
»Das ist doch lächerlich. Dem sollte man einfach die Lizenz entziehen.«
Kitty lachte. »Danke, dass du so ehrlich bist – wie üblich.« Dann verblasste ihr Lächeln, und sie konzentrierte sich auf Constances Hand, die ihre immer noch festhielt. »Oder wie wäre es mit einer egoistischen Frau, deren beste Freundin krank ist, die es aber nicht fertigbringt, sie zu besuchen?«
»Aber jetzt bist du hier, und ich freue mich, dich zu sehen.«
Kitty schluckte schwer. »Du sagst ja gar nichts dazu.«
»Wozu?«
»Du weißt schon.«
»Ich war nicht sicher, ob du darüber reden möchtest.«
»Will ich eigentlich nicht.«
»Na dann.«
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander.
»Ich werde überall niedergemacht, in den Zeitungen, im Radio, überall«, sagte Kitty und schnitt damit das Thema selbst an.
»Ich hab schon länger keine Zeitung mehr gelesen.«
Kitty ignorierte den Stapel auf der Fensterbank. »Egal, wo ich hinkomme, überall werde ich angestarrt, die Leute zeigen mit dem Finger auf mich, flüstern und tuscheln, als wäre ich die Hure Babylon.«
»Das ist der Preis, den man bezahlt, wenn man im Scheinwerferlicht steht. Du bist jetzt ein Fernsehstar.«
»Ich bin kein Fernsehstar, ich bin ein Idiot, der sich im Fernsehen zum Affen gemacht hat. Das ist ein großer Unterschied.«
Constance zuckte wieder die Achseln, als wäre das alles nichts Besonderes.
»Du wolltest sowieso nicht, dass ich bei der Sendung mitmache. Warum sagst du nicht einfach ›Siehst du wohl‹, dann haben wir es hinter uns.«
»Solche Sätze benutze ich nicht. Die sind nicht produktiv.« Wieder das typische Achselzucken.
Behutsam zog Kitty ihre Hand weg und fragte leise: »Hab ich meinen Job eigentlich noch?«
»Hast du nicht mit Pete darüber gesprochen?« Constance machte ein Gesicht, als wäre sie sauer auf ihren Chef vom Dienst.
»Doch, hab ich. Aber ich muss es von dir hören. Das ist viel wichtiger für mich.«
»An Etceteras Haltung dir gegenüber hat sich nichts geändert, man hat dich eingestellt, dabei bleibt es«, sagte Constance fest.
»Danke«, flüsterte Kitty.
»Ich habe deine Beteiligung an Thirty Minutes durchaus unterstützt, denn ich weiß, dass du eine gute Reporterin bist und das Zeug hast, eine großartige Reporterin zu werden. Wir alle machen Fehler, größere und kleinere, niemand ist perfekt. Solche Zeiten, wie du sie jetzt durchmachst, sind dafür da, dass man sie
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