Hundert Namen: Roman (German Edition)
»Versuchst du zu kacken, meine Liebe?«
Kitty lachte.
»Nein, Kitty hat mich gerade gefragt, was für eine Geschichte ich schon immer schreiben wollte, aber nie geschrieben habe.«
»Ah. Du sollst sie nicht zum Nachdenken verführen, Kitty, das haben die Ärzte strengstens verboten«, witzelte er. »Aber es ist eine gute Frage. Lass mich raten. Ist es vielleicht die Geschichte über die Ölkatastrophe, als du das Exklusiv-Interview mit dem Pinguin gemacht hast, der alles beobachtet hat?«
»Ich hab nie ein Exklusiv-Interview mit einem Pinguin gemacht«, lachte Constance, zuckte aber plötzlich zusammen, und ihr Gesicht verzerrte sich, als hätte sie Schmerzen.
Sofort wurde Kitty nervös, aber Bob, der daran gewöhnt war, fuhr unbeirrt fort: »Oh, dann war es wohl der Wal. Der Wal, der alles beobachtet hat. Und jedem, der sich in seine Nähe getraut hat, davon erzählen wollte.«
»Es war der Kapitän des Schiffs, den ich interviewen sollte«, konterte Constance, aber es klang liebevoll.
»Und warum hat es nicht geklappt?«, fragte Kitty, fasziniert, wie die beiden miteinander umgingen.
»Mein Flug hatte Verspätung«, erklärte Constance und zupfte an ihrer Decke herum.
»Sie konnte ihren Pass nicht finden«, verriet Bob. »Du weißt ja, wie es bei uns in der Wohnung aussieht, Kitty – da könnten sich ohne weiteres die Qumran-Rollen verstecken, wir würden nichts davon merken. Seither haben die Pässe übrigens eine neue Heimat gefunden, im Toaster – damit wir ihren Aufenthaltsort nie wieder vergessen. Jedenfalls hat Constance ihren Flug und damit auch ihr großes Exklusiv-Interview verpasst, und der Kapitän hat stattdessen mit jemandem gesprochen, dessen Name nicht genannt werden darf.« Er beugte sich zu Kitty und flüsterte ihr »Dan Cummings« ins Ohr.
»Oh, jetzt hast du’s getan, jetzt hast du mich umgebracht!«, rief Constance und griff sich dramatisch an die Brust, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen.
Kitty schlug sich die Hände vors Gesicht. Irgendwie konnte sie über diesen Scherz nicht lachen.
»Endlich sind wir sie los«, neckte Bob seine Frau zärtlich. »Aber wie lautet denn nun die richtige Antwort, Liebste? Was für eine Geschichte ist es? Ich bin sehr gespannt.«
»Weißt du es wirklich nicht?«, fragte Kitty ihn.
Bob schüttelte den Kopf, zuckte die Achseln, und dann schauten sie beide Constance beim Nachdenken zu.
»Ah«, rief sie plötzlich, und ihre Augen begannen zu leuchten. »Ich hab’s. Es ist eigentlich eine ziemlich neue Idee, sie ist mir erst letztes Jahr eingefallen. Eine Art Experiment, aber seit ich hier bin, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf.«
Kitty rückte näher.
Aber Constance genoss es, ihren Mann und ihre Freundin auf die Folter zu spannen.
»Möglicherweise eine meiner großartigsten Ideen überhaupt.«
Kitty stöhnte ungeduldig.
»Ich sag euch was: Die Unterlagen sind bei uns zu Hause. In meinem Büro. Bob kann dich reinlassen, Kitty, oder Teresa, falls sie nicht zu beschäftigt ist mit der Jeremy-Kyle-Talkshow. Abgelegt unter N . Der Arbeitstitel lautet Namen . Bring den Ordner her, dann erzähl ich euch Näheres darüber.«
»Nein!«, lachte Kitty. »Du weißt doch, wie ungeduldig ich bin, bitte lass mich nicht warten.«
»Wenn ich es dir jetzt gleich sage, besuchst du mich vielleicht nie wieder.«
»Aber ich verspreche dir, dass ich dich trotzdem besuche.«
Constance lächelte. »Nein, der Deal ist, du bringst den Ordner her, und ich erzähle euch die Geschichte.«
»Na gut, abgemacht.«
Und sie schüttelten sich die Hände.
Kapitel 2
Als Kitty erschöpft durch stille Seitenstraßen nach Hause radelte, kam sie sich vor wie eine Ratte, die den Rinnstein entlanghuschte. Nach dem Besuch bei ihrer Freundin war sie anfangs in Hochstimmung gewesen, aber dann hatte die Realität dessen, was vor ihnen lag, sie wieder eingeholt, und sie fühlte sich genauso hoffnungslos wie vorher.
Thirty Minutes , die Fernsehsendung, für die sie im vorigen Jahr zu arbeiten begonnen hatte, war ihre große Chance gewesen, die sie nun kaum gründlicher hätte vermasseln können. Das Programm verzeichnete Zuschauerzahlen von einer halben Million, was für ein Land mit fünf Millionen Einwohnern beeindruckend war, aber es reichte nicht, Kitty zur nächsten Katie Couric zu machen. Nach ihrer katastrophalen Reportage hatte der Sender sie jetzt suspendiert, und ihr stand ein Gerichtsprozess wegen übler Nachrede mit entsprechenden Schadenersatzforderungen
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