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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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tatsächlich eine Besonderheit darstellte. Die ewigen Kochbananen, der Reis und das Bier machten den Darm träge und verursachten chronische Verstopfungen, aber keiner traute sich, Salat oder ungeschälte Früchte zu essen, aus Angst, die Konstipation könnte sich ins Gegenteil verkehren, was bei den einheimischen Toiletten eindeutig die schlechtere der beiden Möglichkeiten war.
    Wir schälten den verletzten Experten aus seiner schmutzigen Wäsche, säuberten ihn und lösten den Verband, bis eine klaffende Fleischwunde über dem rechten Ohr sichtbar wurde. Der kleine Paul desinfizierte die Wunde mit einem Rest Whisky und legte frischen Mull auf, und nachdem wir Goldmann in Hochlage auf das Bett gelegt hatten, gingen wir zu Fuß in die Krankenstation, wo wir für ihn ein Bett und einen Transport in einer Bastsänfte organisierten. Der Stationsarzt ließ für unseren Mann ein Zimmer räumen, indem er eine Wöchnerin frühzeitig nach Hause schickte und eine sterbende Alte in eine Ecke des Korridors verlegte. Wir waren zufrieden.
    Fürs Erste war der Mann versorgt, und da es schon nach Mittag war und wir erst am Tag darauf nach Kigali zurückkehren wollten, nahmen wir ein Zimmer im Ibis, ein Hotel an der Hauptstraße, das schon unter den Belgiern als bestes Haus am Platz gegolten hatte. Es gab dort ein Restaurant, das vor allem von Weißen und hohen Beamten besucht wurde. In der Garderobe entdeckte ich einen Sonnenschirm, keinen ganz gewöhnlichen: Sein Griff hatte die Form eines Entenkopfs, und als ich mein Jackett aufhängen wollte, grinste mir dieser geschnitzte Erpel ins Gesicht. Schau an, schien er mich zu verhöhnen, unser Musketier, der sich von Zöllnern in den Hintern ficken lässt, hat er es also bis nach Butare geschafft, mal sehen, was er als Nächstes anstellt. Ich erstarrte, glotzte in seine mattgrünen Entenaugen, und der kleine Paul sprach mich dreimal an, bevor ich mich aus der Erstarrung lösen konnte. Paul meinte, er wolle sich eine Weile hinlegen, bevor wir gemeinsam hinaus ins Arboretum gingen, um Goldmanns Unfall genauer zu untersuchen.
    Außer zwei Amerikanern, die bei Bier und Spießchen saßen, war niemand im Restaurant. Der Concierge gab sich wortkarg und wollte keine Ahnung haben, wem der Schirm gehören könnte. Ich setzte mich daraufhin allein an einen Tisch am Eingang, von wo aus ich die Garderobe und den Schirm im Blick hatte. Ich hatte keinen Plan, wie ich reagieren würde, ich wusste nicht einmal, was ich von dieser Frau wollte, falls es überhaupt ihr Schirm war, ich spürte nur, wie mein Herz im Hals pochte und ich mir tausend mögliche Sätze ausdachte, die ich gleich wieder verwarf. Ich saß da, wartete auf den Moment der Revanche. Aber bevor jemand kam, erschien kaum eine Stunde später auch schon der kleine Paul, mit schmalen Augen und kaum gekämmten Haaren, aber ausgeruht und bereit, die Welt zurück in die Angeln zu heben. Zu Fuß machten wir uns auf den Weg ins Arboretum, das etwas außerhalb der Stadt auf einer langgezogenen Anhöhe lag.
    Der Unfall habe sich vor zwei Tagen ereignet, erklärte uns der Vorsteher, in der Mittagszeit, während Goldmann wie jeden Tag im Schatten der Ficifolia sein Nickerchen gehalten hatte. Er sei blutüberströmt ins Büro gekommen und habe sich für den Nachmittag abgemeldet. Dann habe er sich in seinen Wagen gesetzt und sei in die Krankenstation gefahren, wo man ihm notdürftig die Wunde versorgte und danach entließ. Er selbst, der Vorsteher, habe in der Pension nach ihm gesehen und angeboten, ihn nach Kigali ins Krankenhaus zu fahren. Aber Goldmann habe abgelehnt, es sei bloß ein Kratzer, kaum der Rede wert, und er werde morgen wieder auf der Arbeit erscheinen. Er, der Vorsteher, habe gleich gesehen, dass die Wunde am Kopf zwar tief, aber doch nur eine Schramme war, verglichen mit dem Hieb, dem dieser Ast Goldmanns Stolz versetzt hatte.
    Wovon der Vorsteher sprach, begriffen wir, als er uns hinaus zu Parzelle 103 führte. Dort stand die verwünschte Ficifolia; der Ast lag noch an derselben Stelle, wo er auf Goldmann gestürzt war. Seine Länge betrug gute zehn Meter, er war dick wie ein Elefantenfuß und an seiner Basis angefault, offensichtlich von einem Pilz befallen. Goldmann hatte beabsichtigt, den kranken Teil zu stutzen, um den gesunden Rest des Baumes zu retten. Dabei musste er die Leiter an die falsche Seite des Astes gelehnt haben, jene nämlich, die er absägen wollte, was zu läppisch war und einem Forstingenieur nie passiert

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