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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition)
Autoren: Lukas Bärfuss
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beschreibt. Ein Korallenbaum überdachte das halbe Grundstück; eine vier Meter hohe, mit Scherben bewehrte Mauer umfriedete das Ganze. Und das war noch nicht alles: In der Auffahrt stand mein Dienstwagen, ein Toyota Corolla, gebraucht zwar und mit ein paar kleineren Beulen, aber das war egal. Ich besaß nun einen Wagen, und diese ganzen Privilegien beschämten mich ein wenig, ich wusste nicht, womit ich sie verdient hatte. Aber wie ich später erfuhr, war Haus Amsar keine persönliche Auszeichnung. Für eine internationale Organisation wäre es unmöglich gewesen, in Kigali eine bescheidene Unterkunft zu finden, niemand hätte gewagt, an gewissen Kreisen vorbei einem Europäer ein Haus zu verkaufen. Viele waren mit der Ausrüstung von Ausländern reich geworden, mit Dienstwagen, Garderobe, Büromöbeln, Sicherheitstechnik, und es waren natürlich immer dieselben Leute, die
Abakonde
, Leute aus dem Norden, die seit dem Militärputsch vor sechzehn Jahren das Sagen hatten.
    Meine Befangenheit währte nicht lange, die Direktion wusste, wie man einen Mann passend für seine Funktion machte. Weil ich mich dem Haus und dem Wagen würdig erweisen wollte, nahm ich meine Arbeit ernster, ich wurde selbstbewusster, und mein Ton höflicher und bestimmter. Wenn ich bei der Arbeit auf Schlendrian stieß, auf der Post wieder einmal die Briefmarken ausgegangen waren oder ein Paket aus der Zentrale zwar angekommen, aber noch nicht weitergeleitet war und man mich mit den üblichen, vormals erfolgreichen Ausreden abspeisen wollte, dann verlangte ich jetzt die augenblickliche Behebung des Missstandes. Auch legte ich größeren Wert auf meine Garderobe, zog jeden Morgen ein frisches Hemd an und rasierte mich sorgfältig, und so eintönig die Arbeit auch blieb, war ich mir nun meiner Verantwortung bewusst. Ich erkannte sie nicht in der Arbeit selbst, sondern in meinen Privilegien. Die Stelle war mit einem Haus verbunden, damit ich mich nach Feierabend erholen konnte, ich brauchte einen eigenen Wagen, damit ich nicht von Bus- und Taxifahrten aufgerieben wurde, und das bewies, wie wichtig meine Position war.
    Damit ich eine Ahnung von der Arbeit der Direktion erhielt, sollte ich mir die Projekte ansehen, und deshalb begleitete ich den kleinen Paul
ins Feld
, wie man es nannte. Es war ein kleines Land, und es waren deshalb kurze Reisen; bis an den See, in unsere forstwirtschaftliche Schule, brauchten wir kaum mehr als drei Stunden. Überall begegneten uns die Einheimischen mit Respekt, um nicht zu sagen, Unterwürfigkeit. Im Institut Nyamishaba ließ der Direktor die Abschlussklasse antreten. Zwei Dutzend kurzgeschorene Zöglinge in blauen Kitteln standen in Habachtstellung und mit gerecktem Kinn neben ihren Pulten. Wer aufgerufen wurde, trat einen halben Schritt zur Seite und leierte eine lange Reihe lateinischer Namen herunter,
Podocarpus falcatus, Magnistipulata butayei, Macaranga neomildbraedania
, die heilige Dreieinigkeit der angebauten Nutzhölzer. Ein anderer Bursche ergänzte mit der jeweiligen Verwendung im Werkzeugbau oder der Zimmerei, ein dritter beschrieb Vor- und Nachteile – anfällig für Wurmbefall, geringes Wachstum, große Wasserresorption –, alles in allem auswendig gelernte Phrasen, wie es den Anschein hatte, dargebracht von blau geschürzten Messdienern des Waldbaus, die ihre forstwirtschaftliche Liturgie herunterbeteten, ohne auch nur ein Wort davon verstanden zu haben. Nach Abschluss ihrer Demonstration schmetterte mir die Klasse ein
Muraho, Monsieur l’administrateur, Muraho!
entgegen, und ich erwartete, dass nun mindestens die Nationalhymne abgesungen und die Flagge gehisst werde, aber der kleine Paul zog mich hinaus in den Pausenhof, von wo aus man den ganzen Kivusee übersah.
    Möwen kreisten über uns, verschwanden im Weiß über den Wellen, tauchten weit draußen über den Fischerbooten wieder auf, wo sie sich schreiend versammelten. Es sei ihre Form, Dankbarkeit zu zeigen, antwortete der kleine Paul, als habe er in meiner betretenen Miene die entsprechende Frage gelesen. Und zur Dankbarkeit hätten sie auch allen Grund. Er legte plötzlich seinen Finger verschwörerisch auf die geschürzten Lippen, schaute sich um, ob auch niemand lausche. Dreißigtausend, flüsterte er dann, jeder von ihnen kostet uns jährlich dreißigtausend Schweizer Franken. Was ich eben gesehen habe, seien Frontschweine, denn in diesem Land herrsche ein fortwährender Kampf um jeden einzelnen Baum. Natürlich sind das teure
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