Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
Vom Netzwerk:
tatsächlich existieren oder bloß eine Erfindung der Regierung sind. Sie haben uns aufs Kreuz gelegt, David, haben uns nach allen Regeln der Kunst an der Nase herumgeführt. Ihr Interesse an der Entwicklung war eine einzige Tarnung, eine erfolgreiche Methode, um in Ruhe gelassen zu werden, damit sie in aller Heimlichkeit ihre überkommenen Sitten pflegen können, ihren Aberglauben, ihr Misstrauen, ihre Clanwirtschaft, ihre ganze verdammte Negermentalität. Und wir Idioten glaubten, wenn wir die Bauern nur waschen und ihnen das Alphabet und das kleine Einmaleins beibringen, würden sie sich eines Tages in ordentliche, selbstbestimmte, kritische Staatsbürger verwandeln. Aber sie hatten niemals die Absicht, etwas zu verändern, und das ganze schöne Geld, die Millionen, die wir ihnen Jahr für Jahr vor die immer gleichen Füße warfen, diente nur dazu, alles so bleiben zu lassen, wie es immer schon war. Ich habe mein Leben verschwendet, David, meine besten Jahre habe ich hier gelassen. Ich könnte mir das verzeihen, aber wie soll ich damit leben, dass ich Ines in dieses Leben gezwungen habe? Ihr blieb ja nichts als die totale Selbstverleugnung. Sie hat nichts, nur mich, der Sinn meiner Arbeit musste für uns beide reichen. Sie hat mir ein Zuhause gegeben, sie hat unseren Jungen erzogen, sie hat mir eine Burg gebaut. Wozu? Wie soll ich ihr erklären, dass alles vergebens war und sie ihr Leben für einen Mann gegeben hat, der sich übers Ohr hauen ließ? Was hätten wir mit unserem Leben anfangen können. Mit einem Zehntel unserer Aufopferung hätten wir ein hundert Mal besseres Leben haben können. Was soll ich ihr sagen? Dass die Guttanit in den Händen des Akazu ist, dass Madame sich das ganze Geld unter den Nagel gerissen hat? Unsere Arbeit einem Haufen Verbrecher diente? Ich konnte ihr das nicht sagen, nicht an jenem Abend. Mich selbst brachte diese Einsicht beinahe um, aber Ines würde sie zerstören. Sie verstehen das doch, nicht wahr? David? Ich schwieg und wünschte, er würde mich nicht ständig in seine Suada einbeziehen. Der kleine Paul erwartete überhaupt keine Antwort und fuhr unbeirrt mit seiner Erzählung fort, und ich sah die Angst in seinen Augen, als er von den Sümpfen sprach, in die hinab er in jener Nacht gestiegen war. Aber da war noch etwas anderes, ein Flackern, das die Freude an der Katastrophe verriet, am Mutwillen, die Leitplanken niederzureißen, die Pauls Leben in der Bahn gehalten hatten. Der Boden sei weich geworden, erzählte er, die Räder drehten durch, er hatte Mühe, vorwärtszukommen. Papyrus schlug an die Scheiben, er hörte die Frösche, ihr Quaken, das wie ein billiges Glockenspiel klang. Dann tauchten Männer aus dem Dunkel, schwarze Gestalten im Scheinwerferlicht, und ein anderer hätte sich fürchten müssen, aber für einen wie Paul gab es dazu keinen Grund. Der Präsident wachte über ihn, nach einem entsprechenden Wort würde man ihn ohne Federlesen totschlagen, aber bis dahin würde es keiner wagen, ihn auch nur schräg anzusehen. Paul hörte entfernten Gesang, und er wiederholte, dass er spätestens jetzt nach Hause hätte gehen sollen, zu Ines, zum Nachtessen, das bestimmt schon auf ihn wartete, aber es war die erste Stunde des Abends, es war zu früh und gleichzeitig war es zu spät. Er stieg aus dem Wagen und ging den Stimmen entgegen, hohe Männerstimmen in Melodien versunken, wie er sie nie gehört hatte, er hatte geglaubt, die Leute hier würden nicht singen. Und wie sie sangen! Sanft, schmeichelnd, einladend –
Mbonye inga-nji! Mbonye inga-nji! Wir heißen dich willkommen, Siegreicher! Den im Krieg Unbezwungenen! Schaut ihn länger als nur einen Tag an! Singt und teilt die Wolken, und bis die Nacht fällt, soll unser Lied erklingen! Er ist ein Himmel ohne Wolken! Seine Feinde hat er bezwungen! Du findest nirgends einen Besseren! Mbonye inga-nji! Mbonye inga-nji! Siegreicher, wir heißen dich willkommen!
Er hatte das Gefühl, die Verse würden ihm gelten. Der schwere Boden klebte an seinen Sohlen, alles war feucht und schleimig und bald war er umringt von Männern, die ihn anblickten, ausdruckslos, als sei er ein Tier, das sich verirrt hat. Außer dem Weiß in den Augen konnte er kaum etwas erkennen, seine Augen waren nicht gemacht für diese Finsternis, nur hier und da erhellt von einigen brennenden Scheiten. Jemand fasste ihn an der Hand, im Pulk öffnete sich eine Gasse, und sie zogen ihn in Richtung einer Siedlung, über Planken, die man über die Rinnsale

Weitere Kostenlose Bücher