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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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sich von Mal zu Mal unverschämter.

    Sollte sich der Verfassungsschutz als Verursacher herausstellen, würde ich nach meiner vorerst verschobenen Aufräumaktion der Bundesrepublik Deutschland eine gesalzene Rechnung schicken. Doch ich glaubte nicht an den Verfassungsschutz, irgendwie paßte diese Unordnung nicht in mein Bild vom deutschen Beamten.

Kapitel 30

    Die Pinkelbude am Chamissoplatz ist eines der wenigen Exemplare, die die Modernisierungswut der Nachkriegszeit in Berlin überlebt haben. Es handelt sich um praktische, in sattem Grün gestrichene Eisenpavillons, überdacht, aber sonst voll belüftet, im schönsten Gründerzeit-Barock, gedacht und geeignet nur für das sogenannte kleine Geschäft.

    Neben ihrer Schönheit als historisches Stadtmöbel bot die Pinkelbude am Chamissoplatz einen weiteren Vorteil: Sie steht vollkommen alleine und unverdeckt durch Bäume oder andere Bauten mitten auf dem Platz. Und setzt man sich im Café Adelbert an das richtige Fenster, hat man sie voll im Blick, ohne selbst gesehen zu werden.

    Also saß ich dort am nächsten Morgen um Viertel nach neun bei frischen Brötchen und dampfendem Kaffee und starrte aus dem Fenster. Bis auf die Bedienung war ich allein. Der Chamissoplatz liegt in Kreuzberg, und die Bevölkerung hier war entweder längst bei der Arbeit oder hielt sich an einen Tagesrhythmus, bei dem Viertel nach neun noch mitten in der Nacht bedeutete. Gemessen an ihrem beruflichen Engagement schien auch die Bedienung eher an diesen Tagesrhythmus gewöhnt.

    Meine Aufgabe wurde durch die Tatsache erleichtert, daß diese Pinkelbuden heutzutage mehr von historischer oder touristischer als von praktischer Bedeutung sind, was zumindest in Kreuzberg auch an ihrer Untauglichkeit für die anatolische Pinkeltechnik liegt. Jedenfalls: Ich hatte freien Blick und kein Überangebot an Verdächtigen.

    Tatsächlich tat sich erst einmal gar nichts, weder in der Pinkelbude noch drum herum. Wahrscheinlich beobachteten meine Besucher von gestern abend den Platz genau wie ich, hatten aber – Gott sei Dank! – dafür nicht auch das Café Adelbert gewählt. War ihr Spesenkonto überzogen? Genau wie ich hatten sie sich jedenfalls ein Zeitlimit gesetzt, und Punkt zehn Uhr, eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit, tauchten sie aus ihrem Beobachtungsposten auf und inspizierten die Lage vor Ort.

    Ziemlich sicher handelte es sich um Araber. Sie schlichen erst einmal langsam um die Pinkelbude herum, was ein wenig unsinnig war, denn diese Pinkelbuden sind nach oben wie zum Boden hin gut dreißig Zentimeter offen. Dasselbe Argument sprach gegen eine Inspektion im Inneren. Aber die beiden waren gründlich, und außerdem hätte ich ja tatsächlich ertrunken in der Pinkelrinne liegen können.

    Bald kamen sie wieder heraus und schauten sich ein wenig hilflos um, kamen aber schließlich zu demselben Ergebnis wie ich: niemand zu sehen, ein leerer wilhelminischer Pinkelpavillon. Der Größere von beiden zückte ein Handy. Ich konnte mir das Gespräch ziemlich genau vorstellen.

    »Chef, hier ist niemand.«

    »Habt ihr euch auch gründlich umgeguckt?«

    »Na klar!«

    Jetzt schaute der Große in Richtung Café Adelbert, praktisch direkt zu mir. Schnell taxierte ich den Weg zum Hinterausgang.

    »Sollen wir auch die nähere Umgebung untersuchen, Chef?«

    »Sinnlos. Kommt zurück.«

    Natürlich waren auch andere Gesprächsinhalte vorstellbar, am Schluß jedenfalls brachen die beiden weitere Nachforschungen ab und wandten sich in Richtung Arndtstraße. Ich zahlte mein Frühstück und folgte ihnen gemütlichen Schritts. Schließlich war ich im Urlaub.

    Zu Fuß ging es durch halb Kreuzberg, einen Bezirk, in dem ich mich nicht besonders gut auskenne. Aber ich kannte die Adresse, zu der mich die beiden schließlich führten: Wassertorstraße Nr. 31. Hier wohnte Baran, der Vorsitzende der »National Union of Kurdistan«, den ich zuletzt auf dieser Pseudobeerdigung gesehen hatte. Mit einem Handy am Ohr stand er am Fenster der Parterrewohnung und öffnete seinen beiden Mitarbeitern. Mich konnte er, hinter einem Berliner Straßenbaum versteckt, nicht sehen.

From: Headquarters, Langley, Va. To: Berlin office

    Die gemeldete Unauffindbarkeit des Objekt Sommer ist nicht akzeptabel, seine unverzügliche Lokalisation unverändert von höchster Priorität. Anschließend ist sobald wie möglich die Verbringung des Objekt Sommer in das bekannte Zielgebiet durch Dritte mit allen Mitteln zu unterstützen

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