Hundertundeine Nacht
beziehungsweise zu forcieren.
Kapitel 31
Nicht, daß ich tatsächlich fürchtete, die Übersicht zu verlieren, aber ich fand inzwischen die Anzahl der Leute, die sich für mich, meine Wohnung oder meinen Keller interessierten, schon ganz eindrucksvoll. Hatte man mich irgendwo zum Mann des Jahres gewählt und vergessen, es mir mitzuteilen? Unser Verfassungsschutz, die Freunde vom CIA, deren Kollegen aus dem Irak, zu denen wahrscheinlich unser fleißiger Gastarzt gehörte, und Herr Sommer nebst Helfern waren bereits auf meiner Liste. Nun kam auch noch die kurdische Exilgemeinde in Berlin hinzu! Nur, falls ich nicht falsch lag, und es ging weiterhin um diesen verdammten Trinkwasseraufbereitungsgiftgasanlagenteil, was wollten die Kurden damit? Selber Giftgas produzieren, um sich für Halabja 1988 zu rächen?
Obgleich es mich reizte, dieser ganzen Gesellschaft ein Schnippchen zu schlagen, und mein Plan dazu inzwischen ziemlich konkret war, rief ich mich zur Ordnung: Es war kaum die Zeit für Experimente mit ungewissem Ausgang, solange Celine nicht wirklich in Sicherheit und am besten zurück in Berlin war. Dazu sollte ich mir Gedanken machen.
Vor allzu anstrengenden eigenen Überlegungen allerdings bewahrte mich eine neue E-Mail. Sie kam zwar nicht von Celine, aber die Nachricht betraf sie.
»Ihre Freundin braucht Hilfe. Restaurant Behar, Fuggerstraße. Heute abend neun Uhr.«
Das hörte sich ziemlich nach einer Falle an, es fehlte bloß noch: »Kommen Sie alleine und keine Polizei!« Aber zur Zeit war ich tatsächlich einzig per E-Mail zu erreichen, nicht in meiner Wohnung, nicht in der Klinik. Wo also mich treffen, unter welcher Nummer mich anrufen? Natürlich würde über kurz oder lang irgendein nachrichtendienstlicher Schlaumeier darauf kommen, auch einmal in Celines Wohnung nachzuschauen. Also sollte ich bald erneut meinen Standort wechseln.
Erst einmal jedoch würde ich die Einladung in das Restaurant Behar annehmen.
Natürlich wollte ich mich absichern. Ich rief bei Michael im Labor an, dort allerdings wurde mir mitgeteilt, daß der Herr Doktor auf einem Kongreß sei. Also würde ich wenigstens Beate Bescheid sagen, wo sie nach meiner Leiche suchen sollte. Ich wollte es ihr persönlich mitteilen, denn sie wähnte mich sicher in einem dunklen irakischen Kerker und nicht in Berlin als heimlicher Beobachter von Pinkelbuden oder meiner eigenen Wohnung.
Zu Beates Büro in der Humana-Klinik nahm ich den Nebeneingang zum Verwaltungstrakt. Nicht wegen meines aktuellen Versteckspiels mit sämtlichen Geheimdiensten dieser Welt, sondern weil man das kennt.
»Ach, Dr. Hoffmann! Ich weiß, Sie sind eigentlich im Urlaub, aber wo ich Sie gerade sehe ...«
Die Klinikleitung residiert im obersten Stockwerk, mit deutlich teurerer Auslegeware als im restlichen Gebäude und tollem Blick über Berlin. Keine Frage, daß ich diese Höhendifferenz im Rahmen meines Anti-aging-Programms zu Fuß überwand. Ich bog vom Treppenhaus in den Gang zu Beates Büro ein und stellte mir gerade ihr verdutztes Gesicht vor, als ich sie sah: ultrablitzende schwarze Schuhe, vier Stück, zwei Paar. Ihre Träger saßen für mich unsichtbar in der kleinen Nische vor dem Büro der Klinikleitung. Ich kannte nur zwei Leute, die als Träger so gepflegter schwarzer Schuhe in Frage kamen, und keinen von beiden wollte ich treffen. Kein Problem, ich brauchte mich nur umzudrehen und meinen Besuch bei Beate zu verschieben, wäre jetzt nicht Professor Kleinweg am anderen Ende des Ganges aufgetaucht.
»Ach, Dr. Hoffmann! Ich weiß, Sie sind eigentlich im Urlaub, aber wo ich Sie gerade sehe ...«
Schnell drehte ich ab. Sicher würde er sich bei Beate über mich beschweren, vielleicht sogar beim Vital-Konzern.
»Dr. Hoffmann! Wait!«
Das kam von den Herren mit den Hochglanzschuhen, dem Iren oder dem Schwarzen. Egal, ich war schon wieder im Treppenhaus, fast ein Stockwerk hatte ich ihnen voraus.
Es wurde eine eilige, aber fast komplette Führung über die verschiedenen Abteilungen der Humana-Klinik. Für die beiden vom CIA sprach das fast noch jugendliche Alter und ihr Trainingszustand, dem konnte ich meine intimen Kenntnisse des Bauwerks und seiner nach zahlreichen Umbauten etwas verworrenen Gänge entgegensetzen. Aber ich wünschte, ich hätte doch den Fahrstuhl genommen, denn im Moment wenigstens schien Trainingszustand gegen Heimvorteil zu gewinnen.
Ich führte meine amerikanischen Freunde gerade über die Nierenstation, mein Vorsprung
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