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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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neben mir saß. Geisterte ein Hund durch die Reihen? »Fünf Mark mit der Hand, zehn mit dem Mund.«

    Nicht einmal das Geschlecht der Person hinter diesem kaum verständlich geraunten Sonderangebot war zu erkennen! Eilig stand ich auf, wollte hier nur noch raus. Während ich mich durch den dunklen Kinosaal tastete, dabei an ein Knie oder sonst was stoßend, fiel mir auf, daß die Dienstleistung eben in alten D-Mark angeboten worden war.

    Eine unheimliche Vorstellung überkam mich: War dieses Wesen nur so zugedröhnt oder vegetierte es auf Dauer in der Dunkelheit dieses schmuddeligen Kinosaals, hatte nicht einmal die Umstellung unserer Währung im vergangenen Jahr mitbekommen? War ich am Ende über eines dieser berühmten Wurmlöcher in eine Anderwelt geraten, saßen auch die Männer hier schon seit Jahren, den Blick starr nach vorne gerichtet und die Hand unter einem Mantel im Schoß verborgen?

    Endlich fühlten meine ausgestreckten Hände einen Vorhang, dahinter kam eine Tür, ein paar Schritte weiter noch eine. Dann schien mir die Sonne ins Gesicht, geblendet mußte ich die Augen zukneifen, ehe ich mich schließlich umsehen konnte: kein Schwarzer und kein Rothaariger in der Menge! Erleichtert atmete ich tief durch.

    »Halloooo Dr. Hoffmann! ‹‹

    Wie gesagt, Berlin ist groß, aber offenbar nicht groß genug, als daß man nicht auf ein paar kichernde Schwesternschülerinnen trifft, wenn man sich gerade unauffällig aus einem Pornokino schleichen will. In diesem Moment wären mir sogar meine beiden amerikanischen Freunde lieber gewesen!

    Ein Nachmittag ist unendlich lang, wenn man nur auf den Abend wartet. Wiederholt versuchte ich, Beate zu erreichen. Erfolglos. Inzwischen hatten auch normale Programmkinos geöffnet, aber die Lust auf Kino war mir vergangen. Also fuhr ich mit der U-Bahn kreuz und quer durch Berlin. Die unbeleuchteten Tunnels gaben mir die Illusion einer gewissen Sicherheit vor Entdeckung, und nebenbei bekam ich einen Überblick über die aktuellen Hits in der Straßenmusikszene und zum Angebot verschiedener Religionen. Daneben traf ich viermal Heinz-ist-mein-Name-und-ich-bin-Positiv. Vielleicht hatte Heinz wirklich AIDS, wer aber sollte ihm ausgerechnet bei unserem Gesundheitssystem glauben, daß er durch Betteln die notwendigen Medikamente finanzieren mußte?

    Gegen acht Uhr, eine Stunde vor dem verabredeten Treffen, verließ ich am Bahnhof Nollendorfplatz meine unterirdische Deckung. Auf direktem Weg waren es von hier ungefähr dreihundert Meter zum Restaurant Behar, in bester Geheimdienstmanier begann ich mit der Überprüfung der Situation und lief die Umgebung in konzentrischen Kreisen mit dem Restaurant im Mittelpunkt ab.

    Aus dem Behar drang ziemlich laute Musik, und ein Schild im Fenster verkündete »geschlossene Gesellschaft«, aber keine besonders verdächtigen Typen lungerten vor der Tür oder im nächsten Hauseingang herum. Nichts schien besonders auffällig für eine Gegend, in der allein das Fehlen von diskutierenden, Würfel spielenden oder Autos reparierenden türkischen oder arabisch aussehenden Leuten verdächtig gewesen wäre.

    Endlich, kurz vor neun, erwische ich Beate doch noch. Inzwischen war sie zu Hause.

    »Felix, du bist tatsächlich in Berlin? Ich bin platt! Nicht im Irak? Was ist los? Kleinweg hat vorhin eine wilde Geschichte erzählt, er habe dich in der Klinik gesehen, und du seiest vor ihm weggelaufen. Wir hatten uns schon Sorgen um ihn gemacht! Wo bist du?«

    Ich erklärte ihr kurz, wo ich war und worum es ging.

    »Ich gehe jetzt da rein, Beate. Und wenn ich fertig bin, melde ich mich wieder bei dir. Sagen wir, spätestens um elf.

    Und was dann? Was sollte Beate unternehmen, würde ich mich nicht rechtzeitig melden? Mit einem lauten Schrei als Racheengel im Restaurant Behar einfallen? Die Polizei alarmieren?

    »Felix, einen Moment!«

    »Also bis spätestens um elf«, fiel ich ihr ins Wort, nicht besonders erpicht darauf, meinen ohnehin sinkenden Mut weiter untergraben zu lassen, und legte auf. Diesmal marschierte ich auf direktem Weg zum Behar.

    Drinnen war das Gedudel natürlich noch lauter, erstaunlich, wieviel Lärm ein paar Leute mit Trommel, Akkordeon, Gitarre und Flöte produzieren können. Die Tische, zu einem großen U zusammengestellt, schienen sich unter der Last der vielfältigen Speisen durchzubiegen.

    Mein Rundblick wurde von einer jungen Frau in reichbesticktem Kleid und Pluderhose gefesselt, ein kunstvoll geflochtener Blumenkranz hielt

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