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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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hatte sich besorgniserregend vermindert, als uns Pfleger Kurt entgegenkam, ein Freund aus alten Tagen und mindestens schon so lange wie ich an der Klinik. Kurt schob den Rollwagen mit dem Vierundzwanzig-Stunden-Sammelurin vor sich her, acht oder zehn dieser bauchigen, oft als Blumenvase mißbrauchten Glasgefäße, mit viel gutem Willen und der Hilfe unserer hoffentlich richtigen Therapie von unseren Nierenpatienten einen Tag lang gefüllt und nun auf dem Weg zur Analyse in das Labor.

    Kurt grüßte mich nicht, guckte mich nicht einmal an. Hatte er mich nicht erkannt? Ich war längst an ihm vorbei, als ich doch etwas von ihm hörte.

    »Vorsicht!«

    Aber zu spät. So elegant ich an ihm und seinen Urinflakons vorbeigekommen war, so schwierig stellte sich die Situation plötzlich für meine Verfolger dar. Mit großem Poltern und Platschen kippte der Wagen um, zerbrachen die Glasgefäße und ergoß sich der Urin auf ihre gepflegten Schuhe.

    »Damn it!«

    »Holy shit!«

    Mit anderen Worten: Mein Vorsprung wuchs wieder an.

    Aber bald schon schrumpfte er erneut. Hätte ich nur nicht so oft meinen Waldlauf verschoben! Eine gute Chance hätte ich sicher noch bei dem Weg über die Intensivstation oder den OP-Trakt gehabt, wäre mir hier mein Heimvorteil doch massiv entgegengekommen, aber das schien mir unfair gegenüber den Patienten und Kollegen. Also aufgeben? Nein, mir blieb noch der Bauch der Humana-Klinik. Auch hier kannte ich mich gut aus.

    Also ging es ins Untergeschoß und durch die Personalcafeteria. Immer wieder erstaunlich, wie viele Leute hier während der Arbeitszeit herumhingen! Dann hinten links die kleine Treppe runter zur Warenannahme, niemand da, weiter zur Bettenwaschanlage, auch niemand da. Fiel mir hierzu etwas ein? Könnte ich die beiden irgendwie in die vollautomatische Waschkammer locken, aus der sie sich dann für mindestens einen Waschdurchgang nicht befreien konnten? Nein, dazu kannte ich mich hier nicht genügend aus.

    »Hey, Dr. Hoffmann! Wir wollen Sie nur helfen!«

    You bet! Für meinen Geschmack hatte ich diese freundliche Versicherung viel zu nahe und zu deutlich gehört. Jetzt mußte ich mich entscheiden: nach links in die Pathologie oder nach rechts zur zentralen Müllbeseitigung? In beiden Fällen wäre ich für einen Moment ihrem Blickfeld entzogen, könnte vielleicht meinen Vorsprung ausbauen. Im Film hätte man sich für die Pathologie entschieden, für Bilder, die das Publikum wohlig-schaurig an die eigene Endlichkeit erinnern. Mußte man mich aber mit diesen beiden Typen hinter mir nicht, außerdem waren wir hier nicht im Film und meine Verfolger wahrscheinlich an Leichen gewöhnt. Deshalb wählte ich den Weg in die Müllbeseitigung – und hatte richtig gewählt.

    Eben wendete dort ein prall gefüllter Müllastwagen, um über die Rampe das Krankenhaus zu verlassen. Ich zog mich hinten auf die kleine Plattform hinauf, auf der beim üblichen Mülltonnenleeren in der Stadt die Mülleute stehen, und los ging es, hinaus aus dem Keller und ab durch die Klinikeinfahrt in die Stadt. Geschafft! An der ersten roten Ampel allerdings sprang ich ab.

Kapitel 32

    Berlin ist groß, zu der amtlich erfaßten Bevölkerung von rund drei Millionen kommen die Touristen, die hier nicht angemeldeten Geliebten unserer Abgeordneten im Bundestag und noch einmal zwei bis drei Lobbyisten pro Abgeordneten. Eine Menge Leute also, genug, sollte man meinen, um zwischen ihnen unterzutauchen, wenigstens bis zum Abend. Trotzdem schienen mir Straßen und Kaufhäuser nicht sicher. Natürlich wußte ich, daß viele Schwarze in Berlin herumlaufen, aber nie vorher war mir das große Angebot an rothaarigen Männern mit Sommersprossen aufgefallen.

    Nach Hause beziehungsweise in Celines Wohnung traute ich mich auch nicht, dort könnten mir die beiden erst recht auflauern, oder die Jungs in dem Lieferwagen wären plötzlich aufmerksamer als bisher.

    Ich hatte eine Idee: ins Kino! Dort ist es dunkel und man wird auch noch unterhalten. Schnell stellte sich heraus, daß am frühen Nachmittag nur Filmkunsttheater mit sehr spezifischem thematischem Schwerpunkt geöffnet sind. Also würde ich gleich noch eine Bildungslücke füllen.

    Soweit ich es im Dunkeln beurteilen konnte, war der Zuschauerraum nur spärlich besetzt, trotzdem aber von einem intensiven Geruch erfüllt, von dem auch die angestrengte Handlung auf der Leinwand nicht ablenken konnte.

    Plötzlich stupste etwas an mein rechtes Knie. Eigenartig, da niemand

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