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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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spitze Schreie stachen auf mich ein (
You take …
). Ich konnte plötzlich nicht mehr festmachen, aus welcher Richtung die Schreie kamen, das Palace schlug seine Klauen in mich, gefletschte Zähne flogen in einem UV-Karussell an mir vorbei. (
You’ll never tame her!
)
    Oben an der Decke, dort wo im Dunkel des Raumes plötzlich ein zweites Stockwerk gewachsen zu sein schien, dort sah ich eine Tür aufgehen, gleißendes Licht drang von außen herein, und in den Schlieren, die das Delirium rund um mich zog, sah ich Hannes mit dem Mädchen das Lokal verlassen. Mir fiel wieder mein Wille zum Kampf ein, und ich versuchte stolpernd und strauchelnd die Tür zu erreichen, mich von der Schwärze freizustrampeln und diese rettende Grenze zu überqueren.
    Doch genau an dieser Stelle riss der Film. Meine Erinnerungen reichen nicht einmal bis zur Tür. Sie verlieren sich schon davor. Ich bin eigentlich nicht einmal sicher, ob es wirklich Hannes war, der das Lokal verließ, oder nur ein unförmiger Schatten, dem ich Hannes’ Kopf aufsetzte. Vielleicht nicht mehr als eine bunt geschmückte Maske in einem ewig lustig tanzenden Karneval.
    Hier an dieser Stelle breitet sich ein Teppich über meine Erinnerung. Ab hier Blackout. Ab hier Mattscheibe. Ab hier wird es schwer, die Ereignisse zu rekonstruieren. Alles ist gelöscht. Und alles nur durch die kleine Bewegung einer Hand.

Samstag
    Bewegen wir unsere Kamera: Sie fliegt über Baumwipfel, taucht dann ab, läuft den Stamm hinunter. Unten, nahe den Wurzeln, liegt ein Mann, der in diesem Moment langsam wieder zu sich kommt: Der Mann unter dem Baum erinnerte sich nicht daran, unter dem Baum eingeschlafen zu sein. Die Verwunderung darüber, mit dem Gesicht an die Borke gedrückt zu sein, nahm für einen Moment sein gesamtes Denken ein. Als sich die Verwunderung aufzulösen begann, blieben keine Gründe übrig, warum er unter dem Baum lag. Er versuchte sich zu erinnern, wie er zu dem Baum gekommen war. In seinem Kopf fand er nur Trümmer. Er sah sich selbst, als wäre er jemand anderer. Er erinnerte sich an seinen Namen und hielt sich daran fest wie an einem Rettungsring. Der letzte Bezug zu einem Ich.
    Ich zog mich am Baum hoch und schüttelte den Kopf. Es war unbegreiflich, wie lange hatte ich hier gelegen? Was war der Ausgangspunkt? Was war die letzte Erinnerung? Ich ging dem Gedanken nach. Da war das Palace. Was war dann geschehen?
    Ein leuchtendes Blau, zuckend, ein Springbrunnen, aus dessen Mitte eine erfrischende Fontäne entsprang. Wassertropfen, Sprühregen, Lichter. Eine Unterführung, wuchtige, grobe Granitblöcke, in deren breiten Mörtelfugen ein schwaches Leuchten starken Kontrast erzeugte. Im Zement wuchsen Haarrisse wie die Windungen in einem Gehirn. Leuchtendes Grau. Blau leuchtendes Grau
.
    Die Hupe eines Autos. „Verrückter“, schrie jemand, „aufpassen!“, rief einer Thomas zu. Die klammen Schritte. Schwindel. Ampelzeichen, funkelnd im Nachthimmel. Irgendwo öffnete sich ohrenbetäubend eine Tür. Klirrender Singsang drang in die Nacht. Eine Stimme, die sang, direkt in sein Ohr, was sang die Stimme, was sang sie, die Melodiebögen bogen sich unter der Last der Luft. Das war R.E.M., aber welches Lied, was sang die Stimme? Sie sang es nachdrücklich direkt in sein Ohr, wer sang da so falsch, so eindringlich falsch
, it’s …
was ist es?
It’s
deine Stimme, and you know it. Hinter den Noten vibrierten Geister. Blaue Punkte wanderten über die Iris, dahinter, schemenhaft, Hannes und ein Mädchen. Hannes, der es stützte. Hannes und ein Mädchen, Walzer tanzend im Schein von Straßenlaternen. Dunkle Wände wuchsen um sie herum hoch, doch das Paar vollführte Pirouetten und walzte durch eine Tür ins Freie. Ein Gefühl von Geigen, eine Hymne auf die Nacht
.
    Hannes’ Hand, die kurz zuckte, als Thomas das Glas nahm. Hinaus auf die Straße, den beiden nach? Aber wohin?
    Der Kopf so müde, keine Führung für die Gedanken. Thomas, so müde, Hannes und ein Mädchen, driften weg, hin in den Stadtpark Eden, das schöne Grün, so schön, so weich, das Grün, es regnet, es schneit, die Sonne scheint, wo war er nur? Wär gern wieder beim Wesentlichen, zurück in der Zukunft. Hannes wird tanzen mit ihr, hinein in den Garten, auf einer Wiese aus Grün und auf Blättern. Der Mond wird über ihnen sein, der Mond wird Thomas aussparen, er beneidet Hannes, der tanzt sich so leicht, und hier im Schatten ist alles so schwer. Wo war er nur, war weit entfernt, und Hannes stößt das

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