Hundestaffel
Mädchen weg. Und dann fällt es so weich, in die Sterne, und Hannes, der richtet sich auf, und so schön und so nackt, bei Vollmond im Garten. Das Mädchen, sein Mädchen
, my darling, my bride,
seine kalkweiße Haut leuchtet hell hin zu Thomas, im Versteck, in den Sträuchern. All das Grün rund um ihn, all das Grün rund um sie, und im Grün geht ein Pfau Richtung Weiß auf und ab. Thomas taucht in die Borke und Hannes in sie
.
Zwei weiße Schenkel im Dunkel. Kröten singen
.
Habe ich das alles wirklich gesehen?
Schließlich schreitet bedächtig der Pfau durch die Szene, schlägt sein Rad auf und zu und verschwindet mit ihr. Doch man hört sie noch schreien, irgendwo in der Ferne, dreimal spitzig und schrill, in den Himmel hinauf, der so fern ist wie sie. Und der Horizont schreit laut hinauf mit dem Pfau, der Horizont schreit, als läge er selbst unter sich, als schrie er selber sich an. Und Thomas ist müde, Hannes’ Blick ist die Wüste, seine Augen sind leer, seine Zunge ist rot. Und ein Teufel grinst hinten aus den Büschen hervor, und der Pfau schreckt nun auf, flattert leise zum Himmel. Lässt Lotosblüten aus den Krallen fallen, die segeln herab, legen sich ab am Horizont. Schlaf gut, Mädchen. Morgen ist alles wieder gut. Keine Angst, es ist bestimmt nur ein Traum. Wenn Gott will, wirst du wieder geweckt
.
Unter dem Baum liegend, hob ich den Kopf und vertrieb die Traumbilder. Mein Kopf pochte, es fröstelte mich. Ein Lieferwagen warf Stapel von Zeitungen vor den Tabakladen an der Ecke. Waren diese verwirrten Bilder wirklich der Rest des Vorabends? Wohl kaum. Ein Teufel in den Büschen – Schwachsinn. Daran erinnerte ich mich sicherlich nicht. Das war doch nicht die Realität. Das war alles ein Traum gewesen. Wie kam ich bloß auf so einen Blödsinn.
Kopfschüttelnd machte ich mich auf den Heimweg. Schwindel drückte mir auf die Augen. Ich rieb mir über das Gesicht, versuchte wieder klare Sicht zu bekommen. Als ich zu Hause ankam, schlief ich in meinen Kleidern ein.
Am Abend rief Hannes an. Er lud mich für den Abend zu sich ins Haus ein. Sein Vater sei endlich wieder weg, wichtige Parteigeschäfte.
Ich hörte Hannes meinen Namen sagen. Es schien mir, als gehörte er immer noch nicht mir. Und ich erinnere mich, die Einladung angenommen zu haben, ohne zu wissen, warum.
Nun sind wir also angekommen, Hannes. An diesem letzten Abend. Gehst du noch einmal mit mir diesen Weg? Den Weg durch die Erinnerung, hinunter ins Reich der Schatten? Erinnerst du dich, in den alten Geschichten, wie sie Blut ausgossen vor einer Spalte und darauf warteten, dass die Geister kamen? Komm, gieß mit mir Blut hin. Steigen wir hinunter, lassen wir die Gespenster kommen, sich vor uns drehen. Lassen wir sie tanzen.
Noch einmal laufen wir mit dir, Anna, Bélisa, Leo und ich. Wir fassen uns an den Händen, und du, Hannes, du gehst in unserer Mitte. Wir laufen in einen Samstagabend. Hinein in die Nacht, die bis zum Ostermorgen dauert.
Ich stand vor dem Tor von Hannes’ Haus. Und ich drückte auf die Klingel.
Das Kameraauge über dem Namensschild fokussierte mein Gesicht. Ich hielt den Mittelfinger vor die Linse, das Tor öffnete sich, gab den Weg durch den Vorgarten frei. Aus der Gegensprechanlage verfolgte mich Hannes’ gackerndes Lachen. Er erwartete mich an der Tür, hielt sie mir auf, fragte mich lächelnd, ob ich guter Laune sei. Wie ich geschlafen hätte. In der Frage lag ein süffisanter Ton, den ich nicht verstand. Hinter allem lag eine Lücke. Ich ging auf einer dünnen Schicht Eis, darunter sah ich dunkel die Tiefe einer Gletscherspalte. Bei jedem Schritt hörte ich ein Knarren aus der Tiefe.
Er bat mich hinein, sofort fiel mein Blick auf die Hunde, die wie wuchtige Statuen in einer Ecke gegenüber der Eingangstür saßen. Ich solle mich wie zu Hause fühlen, sagte Hannes. Ich bezweifelte, dass sich irgendjemand neben den beiden Rottweilern wie zu Hause fühlen konnte, doch ich behielt meinen Gedanken für mich.
Sein Vater habe gerade einmal einen Tag im Haus verbracht, dann sei er sofort wieder abgehauen. Eigentlich sei jede Stunde eine zu viel gewesen, sagte Hannes. Da sei der alte Sack einmal zu Hause, und dann halte er ihm auch noch Vorträge, wie man anständig zu leben habe. Dabei warf sich Hannes staatstragend in die Brust und ließ seine Stimme tief und donnernd erklingen: Junge, so geht das nicht weiter, blabla. Schließlich griff er sich demonstrativ mit beiden Händen an den Kopf. Er könne die
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