Hundestaffel
herankriechende Wirkung des Rohypnols zu spüren, ohne zu wissen, was geschah. Wie sie sich selbst in einen Tunnel gehen sahen und darin verschwanden.
Es gibt Rauschzustände, in die du langsam hineinrutschst wie in lauwarmes Badewasser – du tauchst plätschernd ein, streckst dich aus und legst dich ab. Doch es gibt Drogen, die sich anschleichen; kleine Biester, die hinterrücks attackieren. Auf einmal hängst du an der kurz gefassten Leine. Plötzlich bist du nicht mehr Teil des Geschehens und doch mittendrin, kannst nur noch zusehen, wie du dich in dir selbst verfängst. Du verlässt den eigenen Körper, schwebst hoch und baust dir ein Nest, hoch oben an einem Punkt, weit über dem eigenen Kopf. Du siehst auf dich selbst hinunter wie ein kleiner wartender Vogel. Du siehst zu, wie dein Körper langsam den Dienst quittiert. Kurz hast du Mitleid mit diesem Körper dort unten, wie er sich dreht und windet. Doch schließlich lachst du dich selbst aus, verspottest die ungelenken Bewegungen, weil du dich selbst vollkommen nüchtern glaubst, oben im sicheren Nest.
Ich versuche mir vorzustellen, wie Anna, Bélisa und Maria diesen Moment erlebt haben müssen, ob auch sie dieses Schweben über sich selbst kennen lernten. Ich stelle mir drei Vögel vor, die aus ihren Körpern geflogen kamen, jeder ein Glas blauen Cocktails in den Krallen. Die Vögel setzten sich auf einen Schrank und sahen den Mädchen dabei zu, wie sie von sich selbst wegbrachen.
Sie sahen, wie Leo immer offensichtlicher nach den Effekten der Cocktails suchte. Sein Blick tastete die Mädchen ab, fühlte ihren Puls und zog sich schließlich zurück wie ein Koch, der den Braten noch einmal für fünf Minuten ins Rohr schiebt.
Sie spürten das Fortschreiten der Betäubung, kleine Bildstörungen schlichen sich ein. Sie sahen mich, der ich mir ein Herz fasste, mein Glas abstellte, mich erhob und sagte, dass ich eventuell besser ginge. Sie sahen Hannes, der mich daraufhin kurz zur Seite nahm. Allerdings hörten sie nicht, was er mir zuraunte. Dass ich mir keine Sorgen machen müsse. Es sei jetzt bald so weit. Die Dosis passe genau. Er habe das schon im Griff. Ich würde es nicht bereuen, sagte er.
Maria sah sich zu, wie sie ihren Kopf auf die Rückenlehne fallen ließ. Die Gespräche verstummten allmählich, die Musik klang immer dumpfer, Bélisa konnte mitansehen, wie sie sich über die Arme strich, um sich zu versichern, dass ihre eigene Haut noch da war; leuchtende Druckstellen blieben zurück, das wattige Gefühl von Erregung breitete sich aus, der Schutzreflex löste sich in Wohlgefallen auf. Anna beobachtete, wie sie aufstand und sich unsicher auf die Beine stellte wie auf überlange Stelzen. Und dann wurde das Bild langsam schwarz. Anna verlor den Boden unter den Füßen. Willkommen im Klub, wir sind schon wieder für dich da.
Hannes deutete nickend auf die drei Mädchen. Dieses Zeug sei der Magic Powder, es öffne einfach alle Türen, sagte Hannes. Ich solle den Abend genießen, es werde sicher eine besondere Erfahrung. Genau so drückte er sich aus. Eine besondere Erfahrung. In jenem Moment war es vor allem besonders verwirrend. Konnte ich wirklich Teil dieses Wahnsinns sein? Anna stand wacklig vor uns, lallte etwas darüber, dass sie betrunken sei, die Cocktails knallten ziemlich rein. Hannes gab ihr lachend recht. Sie streckte ihren Arm nach ihm aus und griff etwas unbeholfen nach seiner Schulter. Es war nicht zu unterscheiden, ob sie sich einfach festhalten oder ihm über die Schulter streichen wollte. Hannes befreite sich geschickt aus der Umarmung. Er schob mir Anna zu wie einen Einsatz auf dem Spieltisch. Dann entfernte er sich. Mein Puls schoss durch die Decke. Hannes ging hinüber zu Bélisa, flüsterte ihr etwas zu, die Türen standen offen, ich verstand, dass es an diesem Abend keine Ohrfeige mehr geben würde, mir wurde schlecht, nur der warme Geruch von Annas Haaren hielt dagegen, ich sehnte mich danach, mich in diesen Armen zu verstecken, zu überwintern, diesen Abend auszublenden. Leo taxierte Maria, die Zähne gebleckt wie eine Hyäne, die ein Aas beschnüffelt. Seine Hände zitterten, als wartete er noch auf den richtigen Moment, als gäbe es noch andere Räuber in der Nähe. Doch dann hielt ihn nichts mehr. Der Hunger trieb ihn an. Ich wollte schreien, ihn aufhalten. Mir schnürte es die Kehle zu, ich spürte Annas Atem an meinem Hals, ihre Arme lagen warm auf meinen Schultern, alles begann in meinem Kopf zu tanzen. Der Rest eines
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