Hundsköpfe - Roman
ständig seinen großen Bruder als Vorbild vorhielt. »Niels war auch mal ein Lümmel«, sagte Askild oft, »aber nun ist er zur Vernunft gekommen und fängt an, an seine Zukunft zu denken.« Nachdem er einen Karton voller rosafarbener Briefe verbrannt hatte, war Niels plötzlich ein altes Versprechen wieder eingefallen: niemals so enden zu wollen wie sein Vater. Noch am gleichen Tag holte er seine Schulbücher heraus, und einige Wochen später teilte er beim Mittagessen mit, daß er gern auf die Handelsschule gehen wolle. Nun saß er nur noch in seinem Zimmer und war im Schein der Schreibtischlampe in seine Bücher vertieft, während der letzte Rest von Sehnsucht nach dem Traummädchen aus den verhexten Wäldern im Gleichklang mit dem Einzug von Soll und Haben verschwand. Wenn Askild jedoch gegenüber seinem jüngsten Sohn das leuchtende Beispiel des großen Bruders erwähnte, fand er bei Knut überhaupt kein Verständnis: » Der «, erwiderte Knut dann, »der ist doch immer so scheißlangweilig.«
Nach dem Umzug hatte sich Segelohr innerlich von der Familie verabschiedet, nun war es Knut, der den Kampf aufnahm und, anders als Niels, Askild widersprach. Knut war der Ansicht, der große Bruder sei einer von denen, die immer auswichen. Wenn Askild seine Launen hatte, verschwand Niels in seinem Zimmer, während Knut vor seinem Vater stehenblieb, wie gelähmt vor erstickter Wut und außerstande, zur Seite zu treten oder den Vater zu ignorieren, so daß Bjørk ihn immer darum bitten mußte. Wenn er hingegen in das gelobte Zimmer seines großen Bruders zu kommen versuchte, sagte Niels bloß: »Hau ab, ich lese.« Nur ganz selten nahm ihn der große Bruder irgendwo mit hin. Einmal hatte er ihn in die Bowlinghalle begleiten dürfen, wo Niels als Kegeljunge arbeitete. Den ganzen Abend hatte Knut mit einer Limo in der Hand dagesessen und zugesehen, wie sein großer Bruder mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck die Kegel aufstellte. Ein andermal kam Knut mit, um Geld auszugeben, denn wenn Segelohr Lohn bekam, verbrauchte er das Geld sofort. Es war die Nachwirkungen eines alten Regenbogenkrugdiebstahls: »Leih mir doch mal gerade einen Zehner«, pflegte Askild zu sagen, »nur bis zum Zahltag.« Aber wenn Askild schließlich seinen Lohn bekam, hatte er das geliehene Geld längst vergessen und beschuldigte statt dessen seinen Sohn, kleinlich zu sein. Wenn Segelohr sich hingegen weigerte, ihm Geld zu leihen, ging Askild selbst an dessen Taschen und verschanzte sich anschließend hinter seinem ziemlich lästigen Wahlspruch: »Wenn irgendwo Geld herumliegt, gehört es mir.« Ja, Knut verstand sehr gut, daß sein großer Bruder bereits am Zahltag in die Stadt ging und sofort sämtliches Geld ausgab, dann kam er mit Tüten voller Kleidung, Bücher und Schallplatten nach Hause, breitete die Arme aus und erklärte mit einer Nonchalance, wie Knut sie nie über die Lippen bringen würde: »Tut mir leid, Papa, aber vielleicht kann ich mit ein paar Fusseln aus meiner Hosentasche dienen.« Hingegen verstand Knut nicht, warum immer er mit Anne Katrine spielen sollte.
»Kümmer dich ein bißchen um deine Schwester«, war Askilds ewige Rede, »sie muß mal an die frische Luft.«
Früher waren Knut und Anne Katrine wie Pech und Schwefel gewesen. Sie hatten Bjørk mit Streichen, die Knut sich ausdachte, zum Wahnsinn getrieben, und je mehr er nach und nach die intellektuelle Oberhand gewann, verwickelten sie sich in einem Netz von gegenseitigen Gefälligkeiten, Geheimnissen vor den Eltern und hochheiligen Versprechen, die so phantastisch waren, daß Anne Katrine vor Begeisterung zu sabbern begann. Knut hatte ihr oft versprochen, sie auf See mitzunehmen, wenn er irgendwann einmal Seemann werden würde. Er wollte ihr Dschungel und tropische Strände zeigen, sie sollte dann den ganzen Tag in einem Deckstuhl sitzen und Saft trinken dürfen. Und als Dank für diese goldenen Zukunftsaussichten räumte sie sein Zimmer auf und erzählte den Eltern nichts von den letzten Dummejungenstreichen, wenn sie nicht sogar, ohne mit der Wimper zu zucken, das ihm zugedachte Donnerwetter auf sich nahm. In der letzten Zeit fingen seine zahlreichen Versprechungen allerdings an, sich zu rächen, und er konnte es nicht mehr ertragen, wenn sie ihm dauernd auf Schritt und Tritt folgte. Im nächsten Jahr wurde sie achtzehn, und es war peinlich, diese dicke Träne überall dabeizuhaben. »Mach, daß du wegkommst!« schrie Knut inzwischen, wenn sie ihm auf die Straße
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