Hundsköpfe - Roman
Ehepaar ging zurück in sein gemietetes Zimmer, zog sich gegenseitig aus und gab sich einem wilden und innigen Liebesakt hin, der erst endete, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Gardinen fielen und sie sich gegenseitig davon überzeugt hatten, daß das Leben wirklich schön war.
Doch dann war es auch schon vorbei mit dem plötzlichen Erblühen. Kurz darauf war Elisabeth für jedermann ersichtlich schwanger, und sie, die den größten Teil ihres Lebens gekränkelt hatte, fing wieder an, unter Migräne zu leiden. Perioden der Schlaflosigkeit ließen sie leichenblaß im Haus herumwandern, durch den geringen Hämoglobingehalt ihres Blutes wurde ihr schwindlig, und ein röchelnder Husten begann, in ihrer zarten Brust widerzuhallen. Zunächst hofften sie, daß sich ihre Gesundheit nach der Geburt erholen würde, aber nachdem der kleine Harry durch einen Kaiserschnitt auf die Welt gekommen war, wurde es eher schlimmer. Das Motorrad wurde ganz hinten in den Schuppen gestellt, und Hans Carlo fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit, um seine Frau nicht durch den Motorenlärm zu stören. Die bekritzelte Naziflagge, die mein Großvater mütterlicherseits von ihrer Berlinreise als Souvenir mitgenommen hatte, wurde in einem Schrank im Keller verwahrt, und böswilliges Gerede in der Familie begann Großvaters Ruf zu untergraben. Man glaubte zu wissen, daß Hans Carlos unbesonnener Lebensstil seine zarte Frau beinahe das Leben gekostet hätte. Familienangehörige fingen an, das Haus nach und nach einzunehmen, sie ordneten an, die Fenster zu schließen und die Gardinen vorzuziehen – und vor allem: Stille.
Es dauerte nicht lange, und das Haus war voller schweigsamer, kochender Tanten und wispernder Muhmen, die den kleinen Harry mit fürchterlichen Geschichten über den Nöck im Bach und die schwarzen Löcher im Keller zu Tode erschreckten, ja, sie raunten von zweiköpfigen Drachen, die aus den Wänden kommen und ihm seinen kleinen Pillermann abschneiden würden, wenn er sich nicht ordentlich benahm und nicht aufhörte, seine Mutter zu stören. Ein Geruch von Krankheit, ein Gestank wie nach fauligem Blumenwasser hing über dem Haus, und gleichzeitig verringerten sich die Einnahmen aus Hans Carlos Rahmenwerkstatt. Es war Krieg, und wer wollte schon Gemälde rahmen lassen, wenn die Deutschen im Land standen?
Nach ein paar Jahren entschloß sich Hans Carlo, die schrecklichen Tanten und die wispernden Muhmen des Hauses zu verweisen. Er beabsichtigte, die Erziehung seines Sohnes in die eigenen Hände nehmen, und eine gewisse Zeit schien auch alles in Ordnung zu sein. Eines Abends im Frühjahr, kurz vor Kriegsende, erhob sich Elisabeth plötzlich aus dem Bett und überraschte Hans Carlo, der mit seiner Zeitung im Wohnzimmer saß.
»Verdammt«, fluchte sie, »sechs Jahre habe ich jetzt in diesem Bett gelegen«, und sie bat ihn, die Fenster zu öffnen und das Photoalbum mit den Bildern ihrer Motorradtouren zu holen, und mein Großvater mütterlicherseits freute sich wie ein kleiner Junge an seinem Geburtstag. »Was dieser Norweger heute wohl macht?« fragte Elisabeth, als ihr Blick auf des Bild des Norwegers fiel, Arm in Arm mit diesem speckbackigen Deutschen in einer verrauchten Kneipe in Berlin. Hans Carlo antwortete, daß er wohl kaum mit einer bekritzelten Naziflagge über den Potsdamer Platz marschieren würde. Nachdem sie ihren Erinnerungen nachgehangen hatten, ging Großvater hinaus an den Schuppen, um vor dem Schlafengehen zu pinkeln. Er dachte an eine undichte Stelle im Dach, zu deren Reparatur er noch nicht gekommen war. »Das Leben ist schön!« rief er unmotiviert aus und ging zurück ins Haus, wo er seine Frau mit behutsamen Händen auszog, bevor sie sich einem wilden Liebesakt hingaben, der beinahe so überwältigend war wie damals, in den glücklichen Tagen von Berlin.
Und es dauerte nicht lange, bis das boshafte Geschwätz von neuem Hans Carlos Ruf unterminierte. »Wieder schwanger! Was denkt er sich dabei, dieser Lump? Will er seine arme Frau umbringen?« war auf Familientreffen zu hören, und die schweigsamen Tanten und wispernden Muhmen begannen erneut mit der Invasion des Hauses. Sie stiegen durch die Fenster ein, wenn Hans Carlo bei der Arbeit war, sie brachen vorsichtig die Schlösser auf, erschreckten den kleinen Harry mit ihren Lebensweisheiten und hatten sich schließlich ein zweites Mal des Hauses bemächtigt. Daß Elisabeth eine schwierige Schwangerschaft durchmachte, ließ die Zahl der Verwandten im Haus nicht
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