Hundsköpfe - Roman
auf den Weg gab.
Hans Carlo Petersen hatte seine verstorbene Ehefrau bei einem Familienfest getroffen. Sie war entfernt mit ihm verwandt, und er war sofort von ihrer zarten Schönheit fasziniert, so wie sie da mitten in der Gesellschaft saß und sich von freundlichen Onkeln und eifersüchtigen Tanten bewirten ließ. Nach dem Abendessen zog er sie in den Garten und bat sie, ihn zu heiraten. Er war damals dreiundzwanzig Jahre alt, Elisabeth war neunzehn, und als sie seinen Vorschlag hörte, fing sie so an zu lachen, daß mein junger Großvater mütterlicherseits erbleichte. Und noch bevor der Abend vorüber war, wußten alle, daß Hans Carlo auf Freiersfüßen stand, und die eifersüchtigen Onkel und freundlichen Tanten verpaßten ihm die Spitznamen Freierkönig und Herr Schleichdieb. Rot vor Scham beschloß er, alles daranzusetzen, sie zu erobern. Bereits zwei Tage später ließ er der zarten Elisabeth, die nach den Strapazen des Wochenendes das Bett hüten mußte, durch einen Boten ein Bukett weißer Lilien bringen. Da ein Bukett allein jedoch keinen besonders großen Eindruck hinterläßt, schickte er fortan Blumen in einer Größenordnung, die seine Ökonomie unterminierte und die Luft im Haus seiner künftigen Schwiegereltern parfümierte – und so ist folgendes Bild meiner Großmutter, die ich nie kennengelernt habe, überliefert: in ihrem Krankenzimmer liegend, bleich wie ein Engel und umgeben von einem Urwald aus Blumen, die mein Großvater in sorgfältigem Einklang mit dem Wesen seiner künftigen Ehefrau ausgewählt hatte. Das heißt, keine Rosen oder Sonnenblumen, sondern Lilien, blasse Tulpen und weiße Maiglöckchen, die süßliche Düfte verströmten und sie während ihrer Migräneanfälle vor Atemnot nach Luft schnappen ließen. Es verging ein ganzes Jahr, bevor er die Erlaubnis bekam, sie auf einem Spaziergang um den nahen Waldsee zu begleiten, und ein weiteres Jahr, bevor es ihm gestattet wurde, ihre Hand in der seinen halten zu dürfen. Und eines Tages im Frühjahr, Hand in Hand am Waldsee, blieb sie plötzlich stehen und sagte: »So, Hans Carlo, jetzt darfst du mich gern noch einmal fragen.« Und Hans Carlo vergaß ganz einfach, sie zu fragen, so glücklich war er; Hochzeit wurde dennoch gehalten, und als die Hochzeitsnacht anbrach, lag sie leichenblaß und vor Migräne stöhnend im Brautbett, außerstande, ihrem Ehemann auch nur einen einzigen winzigen Kuß zu geben.
Hans Carlo löschte enttäuscht das Licht und legte sich schlafen, am frühen nächsten Morgen konnte er sich allerdings nicht länger zurückhalten. Vorsichtig ließ er seine Hände ihren blassen Leib liebkosen, er flüsterte zärtliche Worte in das Morgenlicht und überschüttete sie mit all der Hingabe und Geilheit, die sich in drei langen Jahren auf Freiersfüßen in seinem Körper gestaut hatte.
Und tatsächlich lebte Elisabeth auf, sie bekam Farbe im Gesicht, einen gewissen Geschmack an den Freuden des Sexuallebens und eine linkische Verwegenheit, die niemand in der Familie ihr zugetraut hätte. Bereits zwei Wochen nach der Hochzeit bat sie darum, auf seinem Motorrad mitgenommen zu werden, das bis dahin aus der Einfahrt der Schwiegereltern verbannt gewesen war, denn das bloße Geräusch von Motorenlärm, der durch die Fenster drang, konnte sie tagelang ans Bett fesseln. »Mann, ist das toll!« rief sie begeistert aus dem Seitenwagen, und noch bevor drei Monate vergangen waren, saß Hans Carlo im Seitenwagen und sie ebensooft am Lenker wie er, wenn sie an den Wochenenden und in den Ferien über Land fuhren. So verliefen ihre beiden kurzen, aber bunten Jahre, deren Höhepunkt in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine Motorradtour nach Berlin war, wo sie von einem betrunkenen Norweger belästigt wurden, der so unvorsichtig war, auf dem Potsdamer Platz mit einer Hakenkreuzflagge herumzulaufen, die über und über mit Schimpfwörtern und obszönen Zeichnungen bekritzelt war. Nur die Geistesgegenwart Hans Carlos rettete den Norweger vor ernsthafteren Problemen, als die Hitlerjugend erschien. Mein Großvater mütterlicherseits riß einfach die Flagge vom Stock und steckte sie in die Tasche. Und als sie hinterher mit dem famosen Norweger, der Räuberpistolen vom Meer erzählte, und seinem deutschen Saufkumpan in einer verrauchten Kneipe saßen, lehnte sich Elisabeth zurück, biß Hans Carlo ins Ohr und flüsterte: »Das Leben ist schön.« Am späteren Abend verschwanden der Norweger und sein Kumpan in der Stadt, und das verliebte
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