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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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geringer werden, und nachdem sie die kleine Leila durch einen Kaiserschnitt geboren hatte, war sie so mitgenommen, daß die schweigsamen Tanten und wispernden Muhmen das Neugeborene sofort in einer abseits gelegenen Dachkammer unterbrachten – derselben, in der seinerzeit Harry gelegen hatte. Doch während der kleine Harry ganz still gewesen war, schrie die kleine Leila wie ein abgestochenes Schwein und hörte nur die wenigen Male auf, an denen sie an der Brust eines bleichen Engels liegen durfte. »Das Kind ist besessen«, wisperten die Muhmen und tauschten sich mit den schweigsamen Tanten aus, die dafür sorgten, daß das kleine Mädchen seinen Teil des mythologischen Familienerbes abbekam. Nöcke und schwarze Löcher, eben alles, was dazugehörte, um ein ungezogenes Kind abzurichten; sie sangen unheimliche Wiegenlieder und rezitierten eigenartige goldene Regeln – wenn man schreit, welkt die Zunge; wenn man protestiert, wird man nie zu einem süßen kleinen Mädchen, das Mama Elisabeth lieb hat; wenn man nicht aufhört, seine Tanten zu ärgern, hat man Unglück in der Liebe; und wenn man lügt, wird man schwarz im Bauch, ja, man hatte sogar schon von Fällen gehört, wo die Zähne ausfielen und sich am ganzen Körper Beulen bildeten. Als Leila im Alter von drei Jahren fragte, warum ihre Mutter immer hinter zugezogenen Gardinen in ihrem Zimmer läge, bekam sie zur Antwort, daß es sich für ein kleines Mädchen nicht gehöre, allzu viele Fragen zu stellen, und im übrigen wäre sie wohl dem galoppierenden Fragezeichen begegnet, das kleinen Mädchen immer etwas zu fragen aufgab.
    Hans Carlo mischte sich nicht allzusehr in das Leben seiner Kinder ein, und es sollten einige weitere Jahre vergehen, bevor es ihm mit handfesten Methoden gelang, sein Heim von der lästigen Verwandtschaft zu befreien. Daraufhin wurden die Fenster wieder geöffnet, doch leider war es bereits zu spät. Kurze Zeit später sprang in einer Frühjahrsnacht eine kleine Kolonie roter Blumen auf Elisabeths Kopfkissenbezug. Zunächst versteckte sie den Bezug ganz unten im Korb mit der dreckigen Wäsche, doch es dauerte nicht allzu lange, und es war jedem klar, daß es sich nicht nur um eine Frühjahrserkältung handelte, die in Elisabeths Brust rumorte, nein, es war ganz einfach der Tod, der sich in den Atemzügen des Engels eingenistet hatte. Und wie viele Fenster auch geöffnet wurden, der Geruch nach verfaultem Blumenwasser ließ sich nicht mehr vertreiben, und auch die roten Blumen ließen sich nicht mehr daran hindern, jede Nacht aufs neue auf dem Kopfkissenbezug zu erblühen. »Zum Teufel«, flüsterte die zarte Elisabeth, als sie das Todesurteil des Arztes hörte, »jetzt habe ich mein ganzes Leben in diesem Bett gelegen!« Daraufhin bat sie Hans Carlo ein letztes Mal, das Photoalbum aus dem Keller zu holen, und einen langen Abend und eine halbe Nacht blätterten sie sich durch ihre Erinnerungen, und als sie das letzte Photoalbum zuklappten, schien all ihr Mut sie verlassen zu haben. Am nächsten Tag blieben die Fenster geschlossen, und dabei beließ man es in den kommenden fünf Jahren.
    Und obwohl die Familienangehörigen nun allesamt fort waren, schien deren Geist noch immer über dem Haus zu liegen. Auch Hans Carlo fing an, sich mythologischer Wesen zu bedienen, wenn er seine Kinder versuchsweise erziehen wollte. Nun erzählte er vom Nöck im Bach und von Gottvater, der bei Nacht und Nebel Leilas kleine Katzenjungen geholt hatte. Als der Arzt der Familie drei Jahre später sagte: »Nun dauert es noch höchstens einen Monat«, war es fast eine Erleichterung, und die neunjährige Leila wurde zu einer Tante in die Ferien geschickt, ohne zu ahnen, daß sie bei dieser Tante zwei lange Jahre wohnen würde, denn solange dauerte Elisabeths Todeskampf. In dieser Zeit besuchte Leila ihre Mutter nur an Sonntagen, und es war die gleiche Atmosphäre, in der diese Besuche schon immer stattgefunden hatten – im Krankenzimmer ein Engel, eine Mutter mit einem Bein im Himmel und dem anderen auf der Erde. Elisabeth tätschelte ihr die Wange, und später, als sie im Krankenhaus lag, begnügte sie sich damit, Leila die Hand zu tätscheln, meist gelang es ihr nicht, irgend etwas zu sagen, bevor ein heftiger Husten ihren ganzen Körper durchschüttelte. Dann nahm eine besorgte Krankenschwester Leila bei der Hand und führte sie in den Flur, damit sie nicht sah, wie ihre Mutter rote Blumen hustete, und der Anblick des roten Blumenwassers, das ihr aus dem

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