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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Mund tropfte und am Kinn herablief, das arme Kind nicht erschreckte.
    »Der liebe Gott ruft immer die Besten zu sich«, sagte die Tante, wenn Leila von ihren sonntäglichen Besuchen zurückkam, und Leila erwiderte: »Gott ist ein Idiot.« Anschließend rannte sie hinauf in ihr Gästezimmer, hinter sich die wispernde Muhme: »So etwas sagt man nicht! Bist du denn bei Trost, Kind! Dir wird die Zunge welken und abfallen!« Leila knallte der Tante die Tür vor der Nase zu, brüllte »Dumme Kuh!« und verhalf der Tante insgesamt zu so vielen grauen Haaren, daß sie schließlich mit einer gewissen Erleichterung sah, wie das elfjährige Mädchen an einem traurigen Sommertag von seinem Vater abgeholt wurde. Elisabeth war an diesem Morgen gestorben, doch der lange Krankheitsverlauf, die Stimmung im Haus, kurzum alles, was ihren großen Bruder Harry zu einem nervösen jungen Mann hatte werden lassen, machte Leila nur unglaublich wütend. Nachdem sie das ekelerregendste Eis ihres Lebens an einem Waldsee gegessen hatte, an dem die junge Elisabeth zwanzig Jahre zuvor Hans Carlo die Erlaubnis gegeben hatte, um sie zu freien, weigerte sie sich trotzig, vor der Familie eine einzige Träne zu vergießen.
    »Die da«, sagte sie statt dessen zur der neuen Haushälterin ihres Vaters, »faßt Mutters Kleider nicht an, und auch von meinen Sachen hat sie die Pfoten zu lassen!«
    Die Haushälterin hieß Lillian. Sie war zwanzig Jahre jünger als Hans Carlo und wurde direkt nach Elisabeths Tod eingestellt. Die Rahmenwerkstatt lieferte gegen alle Erwartungen in den letzten Jahren auskömmliche Erträge, und Harry war gerade zu Hause ausgezogen, um seine Wehrpflicht abzuleisten. Lillian starrte entgeistert auf die ungezogene Tochter ihres neuen Arbeitgebers, zunächst verärgert, weil der apathische Vater seine Tochter nicht maßregelte, dann versuchte sie jedoch, das Herz des kleinen Mädchens mit einer List zu gewinnen. »Du bist aber ein liebes kleines Mädchen«, flüsterte sie schmeichelnd, worauf Leila entgegnete: »Ich bin nicht lieb, und du brauchst gar nicht zu glauben, daß du dir meinen Vater schnappen kannst!«
    Diese letzte Bemerkung ließ auch Hans Carlo aufmerken, vielleicht, weil sie ein Gran von Wahrheit enthielt, und er beantwortete sie mit einer gepfefferten Ohrfeige, bei der Leila einen kleinen lautlosen Schrei ausstieß. Daraufhin drehte sie sich um und lief hinunter in den Keller, wo kurz vor Elisabeths Tod eine Überschwemmung die unterste Etage des Hauses in einen unterirdischen See verwandelt hatte, in dem Frösche, Kröten und kleine Wasserspinnen zusammen mit Photoalben und anderen Reliquien der Vergangenheit herumschwappten. Inzwischen war das Wasser abgeflossen, und Leila, die durch ihre Tante von der Überschwemmung gehört hatte, ging erst einmal herum, um das schwarze Loch zu finden, von dem die Tanten in ihrer frühen Kindheit immer geflüstert hatten; sie ging davon aus, daß das Wasser dadurch hochgestiegen sein mußte. Doch als sie lediglich eine verschlammte Abflußabdeckung fand, begann sie, sich den Schaden anzusehen, der ein heilloses Durcheinander hinterlassen hatte. Noch am selben Abend bat sie ihren Vater um Erlaubnis, im Keller Ordnung schaffen zu dürfen, und Hans Carlo gestattete es ihr, erleichtert, daß er nicht selbst in den schmerzvollen Erinnerungen aufräumen mußte.
    In der folgenden Zeit schaufelte die elfjährige Leila eimerweise Schlamm aus dem Keller und fand Photographien, denen das Wasser die Motive abgewaschen und sie zu unkenntlichen Zerrbildern verwandelt hatte. Sie entdeckte Briefe, deren gestochene Schrift zu mystischen Hieroglyphen verschwommen war, und sie fand eine Menge anderer Dinge, darunter eine bekritzelte Hakenkreuzflagge, die so voller Schimmelflecken war, daß sie sie im ersten Moment wegwerfen wollte. Aber überzeugt, daß jedes dieser Wrackteile ein Stück der Seele ihrer Mutter enthielt, säuberte sie jede einzelne Photographie, glättete sie mit dem Bügeleisen und arrangierte sie in Photoalben, die die Haushälterin in ihrem Versuch, sich bei der Tochter des Hauses lieb Kind zu machen, ohne das Wissen Hans Carlos vom Haushaltsgeld kaufte. Und schon bald trug ihre Arbeit Früchte. Auf den Photographien sah Leila ihre Mutter unter den Engeln, die Photos kamen ihr vor wie Offenbarungen des himmlischen Lebens ihrer Mutter, wie Offenbarungen von der anderen Seite des Todes. Zunächst war sie erstaunt über die Heiterkeit, die das Leben der Engel im Himmelreich zu

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