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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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nicht umzustimmen: »Ist mir egal, wo wir hinfahren«, sagte er, als der große Bruder fragte, was er in Ålborg wolle.
    »Da scheiß ich drauf«, sagte er, nachdem er die Geschichte des neuen Fahrrads gehört hatte, das nun zu Hause in der Einfahrt auf ihn wartete, »ich komme erst wieder nach Hause, wenn ich groß genug bin, um ihm einen Arschvoll zu verpassen. Grüß ihn und richte ihm das aus.«
    Als das Schiff eine halbe Stunde später aus dem Hafen lief, saßen die beiden Brüder noch immer in der Kajüte. Der Skipper schüttelte nur den Kopf, und einen halben Abend und eine halbe Nacht versuchte Segelohr, den kleinen Bruder zur Vernunft zu bringen. Dann frischte es zu einer steifen Brise auf, das Schiff schwankte bedrohlich, und den Rest der Nacht mußte Knut den Kotzkübel des großen Bruders entleeren, ihm die verschwitzte Stirn abwischen und ihm versichern, daß man an Seekrankheit bestimmt nicht starb. Segelohr war richtig krank, und der Anblick des älteren Bruders, der wimmerte wie ein Kind, ließ bei Knut den letzten Rest von Zweifel verschwinden. Genau hier war sein Zuhause. Auf genau diesen Augenblick hatte er sein ganzes Leben lang gewartet. Leise vor sich hin pfeifend, lief Knut zwischen der Toilette und seinem seekranken großen Bruder hin und her. Er versuchte ihn zu beruhigen und riet ihm entschieden davon ab, über Bord zu springen, obwohl Niels in seinem momentanen Wahn ernsthaft darauf bestand. Zwischendurch servierte er noch Kaffee auf der Brücke und reparierte eine schadhafte Treppenstufe. Es gelang ihm mit anderen Worten, den rotäugigen Skipper so zu beeindrucken, daß dieser ihn am darauffolgenden Nachmittag auf ein anderes, wesentlich größeres Schiff mitnahm, um ihn einem unbekannten Kapitän vorzustellen. Es war ein großer Tag für Knut, ja, tatsächlich war es sein größter, für Segelohr indes sollte dieser Vormittag im Ålborger Hafen für immer mit der Erinnerung an eine Niederlage verbunden bleiben, da es ihm nicht gelungen war, den kleinen Bruder zur Vernunft zu bringen.
    »Sag Katrine, daß ich eines Tages kommen und sie holen werde«, war das letzte, was Knut sagte, bevor er an Bord des neuen Schiffes ging. Es war nur so dahingesagt. Er wußte, daß er Anne Katrine niemals auf die Weltmeere bringen könnte. Und er wußte auch, daß er sie eigentlich lieber nicht dabeihaben wollte. Er warf einen letzten Blick in Richtung seines großen Bruders, der aus dem Hafengebiet schwankte, die nächste große Straße fand und anfing, vorbeifahrende Autos mit dem Daumen zum Anhalten zu bringen.
    Auf dem Weg von Ålborg nach Odense, in der Gesellschaft diverser Lastwagenfahrer, gingen Segelohr drei Wörter im Kopf herum: Es geht bergab . Die Erkenntnis, daß sein neun Jahre jüngerer Bruder das Elternhaus vor ihm verlassen hatte, war niederschmetternd, sein klägliches Verhalten auf dem Schiff war gleichfalls niederschmetternd, und das Studium des vergangenen Jahres unter der Schreibtischlampe erfüllte ihn plötzlich mit Ekel. Er hatte einmal einen goldenen Krug vom Ende des Regenbogens besessen, ihm waren ein goldener Regen und eine strahlende Zukunft versprochen; und nun saß er hier, wie immer ohne eine Krone in der Tasche, weil sein Lohn, verflucht noch mal, verbraucht sein mußte, bevor er zu seinem Vater nach Hause kam. Wann würde es bei ihm soweit sein, wann würde er abhauen?
    Als er Odense allmählich näher kam, fiel ihm wieder ein, daß er der Familie die traurige Neuigkeit zu überbringen hatte – zumindest lenkte es die Gedanken von sich selbst ab. Er wußte, Bjørk würde krank werden vor Sorge. Er wußte, seine kleine Schwester würde es ihr Leben lang als einen Schlag auffassen. Und schließlich und endlich wußte er auch, wie Askild reagieren würde: stiernackig und trotzig – und immer öfter würde er fragen: »Welcher Knut?«, sobald die Rede auf den Entlaufenen kam. Obwohl Askild selbst aus einer Seemannsfamilie stammte, gefiel es ihm ganz und gar nicht, daß sein eigener Sohn diese Familientradition fortgesetzt hatte.
    Als Segelohr ohne Knut nach Hause kam, wurden nur sehr wenige Worte gewechselt. Am folgenden Tag kam das Fahrrad in den Schuppen. Bjørk durfte es nicht anfassen, die Kinder durften es nicht anfassen, und die Enkel, die ständig sehnsüchtige Blicke auf das unbenutzte Drei-Gänge-Tourenrad warfen, durften es unter gar keinen Umständen anfassen. »Finger weg«, brummte Askild jedesmal unwirsch, wenn Stinne und ich diesem Monument einer

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