Hundsköpfe - Roman
heiraten?« Askild gefiel es nicht, daß sein Sohn in wilder Ehe lebte, und sein säuerliches Nörgeln sollte schon bald ein Echo finden, so daß jeder, der in die Wohnung kam, hören konnte, was Großvater in eher privatem Rahmen von sich gab.
»Weniger rumhuren!« tönte es aus der Küche, in der Kaj noch immer auf seiner Stange saß. »Welcher Knut?« ließ er auch hören. »Halt den Schnabel, du blöder Papagei!« Als meine Schwester und ich uns der Pubertät näherten, hörten wir, sobald wir in die Nähe der Küche und des unbändigen Papageis kamen, noch immer die Bruchstücke der heftigen Diskussionen, die die Zeit um unsere Geburt geprägt hatten. »Asger!« krächzte Kaj. »Was zum Teufel ist das für ein Name!«
Nur neunzehn Monate nach Leilas erster Geburt gab der Zirkus auf der Entbindungsstation eine weitere Vorstellung. Es gibt keinen Grund, sich zu wiederholen – aber auch ich wurde von Frau Mutters vorwurfsvollem Blick getroffen, von Askild unter dem Kinn gekitzelt und in Bjørks sentimentalen Tränen gebadet –, aber als sich die früher so blasse und hilflose Anne Katrine der Wiege näherte, wurde es jedem klar, daß es einen Unterschied zwischen den Säuglingen gab.
»Darf ich’s mal halten?« fragte sie und zeigte auf den Neugeborenen, worauf sie mit einer kindlich begeisterten Stimme hinzufügte: »Ist der süß.«
Mit der Erinnerung an dieses schwabbelnde Fett im Gedächtnis, an diesen Körper ohne klare Grenzen, der mich anfangs mit Furcht und seither mit Angst erfüllte, scheine ich plötzlich zu zögern. Ich stocke schon bei etwas so Banalem wie der Erinnerung an ihren Herzschlag. Ein unregelmäßiger Rhythmus, der einen Schlag überspringt und sie einen merkwürdigen Hickser ausstoßen läßt. Und durch den Hickser habe ich das Gefühl, mich wieder in der Dunkelheit unter der Treppe zu befinden. Anne Katrine starrt mich anklagend an, der Tod läßt ihr Herz nicht los, die Angst leuchtet aus ihren Augen, und um mich herum wächst und wächst die Dunkelheit.
Seit ich Amsterdam verlassen habe, hatte ich diese Dunkelheit in meinen Gedanken. Ein paarmal habe ich meinen Neffen schon versprochen, diesen Hundskopf zu malen, und dann habe ich doch versucht, mich darum zu drücken, weil es so viele andere Schicksale gab, die sich begegneten und in meine eigene, bescheidene Geschichte woben. Es gab Anne Katrine, der die Mutterliebe entzogen wurde. Es gab Leila, die ihre Eltern verlor. Es gab Niels junior mit seinen Ohren und seinem Korsett. Es gab Knut mit seiner gebrochenen Nase. Es gab Frau Mutters vorwurfsvolle Trauer, Elisabeths lebenslange Krankheit und Hans Carlos hastig wachsenden Tumor. Es gab Urgroßvater Thorstens Pleite. Es gab Großmutter mit ihrem Alkoholiker als Mann, und es gab Großvater mit seinem halben Zeigefinger und seinen Bluthunden auf einer Ebene in Ostdeutschland … Zwischendurch habe ich mich selbst gefragt, was meine Geschichte über den Hundskopf gegen all die Geschichten ist, die sich noch ereignen sollten.
»Laß die Dunkelheit nicht durch dich hindurchgehen«, sagte mein Vater einmal zu mir, »es ist viel besser, selbst durch die Dunkelheit zu gehen.«
Darum will ich der Dunkelheit zuvorkommen und gegenüber meiner aufmerksam zuhörenden großen Schwester bekennen, wie ich, Asger Eriksson, der Familie, wenn nicht den größten, so doch in jedem Fall einen der größten Schläge zufügte …
»Ach, die alte Geschichte mit der Pisse«, ruft Stinne. »Es lief doch gerade so gut, kannst du mit der nicht warten?«
Aber es geht gar nicht darum, wie ich unter der kundigen Anleitung meiner Schwester Großvater einmal dazu gebracht habe, ein ganzes Glas Urin zu trinken. Nein, es geht darum, wie ich, Asger Eriksson, auch genannt das Schlüsselkind, der Hurensohn, das Lügenmaul und Träger vieler weiterer Namen, meine geistig behinderte Tante ermordet habe.
»Hör auf«, sagt Stinne, »die Trutsche starb an einem Herzanfall, sie war so übergewichtig, daß ihr armes Herz schließlich stopp sagte, da hast du überhaupt nichts mit zu tun.«
6
Der Lügner und die Briefvandalin
S treitereien waren die erste unmittelbare Folge meiner Geburt. Askild verlangte in Übereinstimmung mit der Familientradition, daß ich nach ihm benannt würde, Mutter liebäugelte ein wenig mit dem Namen Benjamin, und Vater wollte nicht ausschließen, daß auch Elvis ein phantastischer Name sein könnte. Als Vater sein Veto gegenüber dem Namen Askild einlegte, als Askild sich ausreichend
Weitere Kostenlose Bücher