Hundsköpfe - Roman
eroberte meine junge Mutter sofort das Herz meiner Großmutter. Gleichzeitig nutzte Großmutter die Gelegenheit, sich selbst in aller Stille für den Diebstahl rosafarbener Briefe in der Vergangenheit zu loben.
»Wieso hast du mir nicht erzählt, daß du aus Norwegen bist?« fragte Leila auf dem Heimweg und guckte meinen jungen Vater unzufrieden an, bis der ganz unmotiviert gegen einen Laternenpfahl trat. Der wackelte ein wenig, dann ging das Licht aus, und Leila brach ebenso unmotiviert in begeistertes Geheul aus. Der nächste Laternenpfahl, an dem sie vorbeikamen, bekam einen ordentlichen Tritt von Leila, und so – gegen sämtliche Laternenpfähle tretend und einen dunklen, unbeleuchteten Weg hinter sich lassend – kamen sie zum alten Haus meines Großvaters mütterlicherseits, polterten die Treppe hoch in den ersten Stock, rissen sich die Kleider vom Leib und trugen einen lärmenden Ringkampf aus.
Damals ahnte es noch niemand, aber tatsächlich hatte Vater zum letzten Mal im Haus seiner Eltern geschlafen. Nun wachte er jeden einzelnen Morgen in einem Haus auf, das immerhin zwei mythologische Belagerungen über sich hatte ergehen lassen müssen, und hier geschah es – weniger als drei Meter über der schlaflosen Frau Mutter –, hier wurde Stinne in einer Novembernacht des Jahres 1969 gezeugt.
»Eine Fehllieferung«, pflegte meine Mutter gewöhnlich zu sagen, »aber die beste Fehllieferung der Stadt.«
Neun Monate später wurde die beste Fehllieferung der Stadt Zeugin des beunruhigenden Anblickes eines dicken Mannes mit einem Stock, der sich über ihre Wiege beugte und sie mit dem noch funktionierenden Zeigefinger liebevoll unter dem Kinn kitzelte, bis der Säugling zu schreien begann. Damit war Bjørk an der Reihe, und die beste Fehllieferung der Stadt wurde mit einem wahren Tränenregen überschüttet, woraufhin der gesamte Blick von etwas Riesenhaftem versperrt wurde, einem zitternden Fettberg, hinter dem sich ein zurückgebliebenes Mädchen namens Anne Katrine verbergen sollte. Im ersten Moment strahlte ihr Gesicht noch vor Erwartung, doch dieser Ausdruck wurde sehr rasch von Enttäuschung abgelöst, als ihr klarwurde, daß in der Wiege kein neuer kleiner Bruder lag, kein neuer kleiner Knut, der ihr in Zukunft Saft auf dem Deck eines verzauberten Schiffes servieren würde. Und während der Fettberg mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck verschwand, wurde der Säugling von einem vorwurfsvollen Blick getroffen, der über dem Rand einer schwarzen Sonnenbrille zu sehen war. Frau Mutter war auf der Entbindungsstation erschienen und wollte das Kind auch unterm Kinn kitzeln, aber ihre Kitzelei hatte etwas Halbherziges, eine Art von kaltem Neid, der den Säugling noch einmal losbrüllen ließ.
»Was für ein Schreihals«, entfuhr es Askild, und er schüttelte den Kopf, »mit ihr werdet ihr noch eure Probleme bekommen.«
Das neue Familienmitglied bedeutete neue Zeiten, denn noch während die Mutter nach der geglückten Geburt im Wochenbett stillte, griff der Vater durch und sanierte die Rahmenwerkstatt auf eine derart radikale Weise, daß Ib mit Kündigung drohte und Frau Mutter erblaßte. Ein Blitz schlug ein, Vater wurde vom Feuer und Geist Raffzahns ergriffen und ließ sich einen kräftigen Schnauzbart stehen – ich glaube, die Fehllieferung hatte die Lunte entzündet –, und in weniger als drei Wochen klopfte er an vierhundertsiebenundvierzig Türen in der Stadt und verschickte doppelt so viele Mahnbriefe. Es ging um die alten Forderungen, und als er das Geld kassiert hatte, investierte er alles in Kitsch, in weinende Kinder, röhrende Hirsche, Film- und Fanplakate, gerahmt in einfaches Glas oder Metall. »Wieso sollen wir uns mit dem Einrahmen begnügen, wenn wir auch den Inhalt verkaufen können?« sagte er und bewies mit seiner Wahl der Inhalte eine ganz unglaubliche Ignoranz gegenüber der Kunst.
War die Rahmenwerkstatt einst ein Hort stolzer Handwerkstraditionen und hatte dann als Raum für eine besonders unterminierende Form der Liebe gedient, wurde sie nun ganz einfach in ein Schreckenskabinett des schlechten Geschmacks verwandelt. Und noch bevor Leila wieder zurück ins Geschäft kam, hatte sich der Umsatz verdreifacht, und Ib war von einem soliden Handwerker in einen Verkaufsmitarbeiter verwandelt worden, der eine Kappe und ein T-Shirt mit einer bärtigen Mona Lisa trug. »Ist das nicht komisch«, rief Niels, der nicht die geringste Ahnung von Marcel Duchamp hatte, »die Dame trägt
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