Hundsköpfe - Roman
Zukunft sang oder von den verzauberten Kindheitssommern in Nordland erzählte, bis Askild zu besoffen war. Dann beauftragte Großmutter Anne Katrine, mich nach Hause in den Birkebladsvej zu schieben, wo ich noch vor Vater und dem Abendbrot ankam. »Och«, sagte Stinne, »wieso hat er immer so viel Glück?«
Als Reaktion gegen diese ungerechte Bevorzugung startete meine zwei Jahre ältere Schwester einen stummen Protest. Sie begann, Briefe in Stücke zu reißen. Wie ein Hund, der auf den Postboten wartet, stand sie jeden Tag hinter dem Briefschlitz auf der Lauer, um dem erschrockenen Postboten Briefe, Zeitungen und Reklamebroschüren aus den Händen zu zerren und anschließend die Briefe zu zerreißen und an den unterschiedlichsten Stellen im Haus zu verstecken. »Hör auf damit!« schrie Leila, aber wenn Stinne erst einmal das Gefühl hatte, die Welt hätte sich gegen sie verschworen, konnte sie nichts von ihrem Vorhaben abbringen. Der Briefvandalismus meiner Schwester sollte sich bis in die Pubertät fortsetzen und wurde zu einer unmittelbaren Ursache für Vaters wachsende Probleme mit dem Finanzamt. Ihm war einfach nicht klar, wie schlimm es wirklich um ihn stand, bevor es tatsächlich zu spät war, denn die freundlichen Nachfragen der ganzen ersten Jahre hatten sich allesamt in Luft aufgelöst. Die kleine Vandalin nannte Askild sie, als er das erste Mal Zeuge der eigentümlichen Unart seiner Enkelin wurde und sich einen heimlichen Plan ausdachte. An einem frühen Sonnabendmorgen des Jahres 1975 stellte er sich vor unsere Haustür und steckte einen leeren Umschlag durch den Briefschlitz, kurz bevor der Postbote kommen sollte. Stinne war sofort zur Stelle, aber statt den Umschlag ganz einzuwerfen, zog Großvater ihn ein Stück zurück, so daß Stinnes eifrige kleine Hände im Briefschlitz zu sehen waren.
»Haps!« rief Askild und packte mit festem Griff ihren linken Zeigefinger. »Gefangen! Haha.«
Es war keineswegs Askilds Absicht, den Finger seiner Enkelin zu verstauchen, doch genau das passierte. Die Briefvandalin zog ihre Hand zurück und weckte das ganze schlafende Haus mit ihrem Geheul. Es war eines der wenigen Male, bei denen Großvater bereits herausgeschmissen wurde, bevor er überhaupt hereingekommen war, und ziemlich verärgert ging Askild nach Hause in den Tunøvej und malte in weniger als einem Vormittag Der Vandale sitzt im Briefschlitz fest , ein Bild, auf das er zu Recht stolz war, obwohl es ihn immer daran erinnern sollte, daß es ihm nicht gelungen war, seine Enkelin von ihrer eigenartigen Unsitte zu kurieren.
Ein derartiges Klima – der eine gebadet im goldenen Schein der Aufmerksamkeit, die andere angewiesen auf die Einsamkeit des Briefvandalismus – war nicht die beste Brutstätte für Geschwisterliebe. Ich habe eine schwache Erinnerung, daß mich Stinne ein paarmal gekniffen hat, wenn Mutter wegguckte, und daß sie andererseits mir und der Tante auf dem Fuße folgte, wenn wir Hand in Hand den Birkebladsvej hinuntergingen. »Ich will mit!« rief Stinne und warf Erde und kleine Steine in die Luft.
»Nein«, erwiderte Anne Katrine dann, »geht heute nicht.«
Zurück auf dem Bürgersteig blieb ein kleines Mädchen mit der dunklen Hautfarbe seines Großvaters und einer stolzen französischen Nase. So eine Trutsche , dachte sie und schaute uns wütend nach.
Also kamen meine Schwester und ich uns erst näher, als ich im Alter von drei Jahren eine harmlose Form von Angst vor der Dunkelheit zu entwickeln begann. »In meinem Haus wohnen keine Maulwürfe unter dem Bett«, sagte Vater für gewöhnlich, wenn sein Sohn zur Schlafenszeit zweifelhafte Theorien über die diffusen Charaktere der Dunkelheit darlegte. »Es kommen auch keine Hunde aus der Wand, wenn ich das Licht ausmache«, versicherte mir Mutter, aber nicht alle waren der Meinung, daß wir in einem gänzlich ungefährlichen Haus wohnten.
»Unten im Keller, also im Raum unter der Treppe«, sagte Stinne, »da wohnt der Hundskopf, weißt du, und der ist SEHR GEFÄHRLICH .«
»Der Hundskopf«, stammelte ich, »was macht der?«
»Weiß ich nicht«, antwortete meine Schwester, »aber er ist jedenfalls sehr gefährlich, weißt du. Er ist so gefährlich, daß ich nicht weiß, was er macht.«
»Der Hundskopf?« sagte Vater und sah mich fragend an.
»Der Hundskopf?« sagte meine Mutter. »Das ist doch Unfug. Den gibt’s nicht.«
»Was sitzt denn ganz vorn bei einem Hund?« fragte Stinne und warf Mutter einen unschuldigen Blick zu. »Und
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